Bruderkampf
Danach werde ich nach Amerika zurückkehren. Ich habe meinen Wert unter Beweis gestellt. Die Vergangenheit bedeutet mir nichts mehr.«
»Dann tut mir eure Nation leid«, sagte Bolitho ruhig. »Wenn ihre Existenz von Verrätern abhängt, wird sie einen schwierigen Kurs steuern müssen.«
Sein Bruder blieb gelassen. »Verräter oder Patrioten, das hängt vom Standpunkt ab. Wie dem auch sei, heute abend wird die Andiron vor St. Kitts ankern. Nicht im Haupthafen, sondern in einer kleinen Bucht, die meines Erachtens der ideale Ort ist, um sie zurückzuerobern.« Er warf den Kopf zurück und lachte.
»Nur, daß es die Phalarope sein wird, die in die Falle geht, mein verehrter Herr Bruder. «
Bolitho blickte ihn ausdruckslos an. »Was das anlangt: Ich bin Gefangener. Ich möchte weder meinen Familiennamen noch den meines Landes beschmutzt sehen, indem ich Bruder genannt werde!«
Der Pfeil hatte getroffen, Bolitho spürte es an Hughs Reaktion. Doch sein Bruder fing sich gleich wieder und sagte tonlos: »Dann nach unten mit dir.« Er griff nach dem Säbel. »In Zukunft werde ich ihn tragen. Er gehört von Rechts wegen mir.«
Er schlug auf den Tisch, und ein Posten erschien in der Tür.
Dann sagte er: »Ich bin froh, daß du an Bord meines Schiffes bist, Richard. Wenn mir die Phalarope diesmal vor die Kanonen kommt, wird mich nichts aufhalten.«
»Wir werden sehen.«
»In der Tat, das werden wir.« Hugh Bolitho trat an seine Karte. »Wenn ich die Stimmung deiner Leute richtig einschätze, Richard, werden sie bald den Befehlen der Andiron folgen.«
Bolitho machte kehrt und schritt an der Wache vorbei. Der Kapitän der Andiron folgte dem Abgang mit den Augen, seine Hände umspannten den Degen wie einen Talisman.
Die rote Flanelltasche
Richard Bolitho kam jeder Tag der Gefangenschaft länger vor als der voraufgegangene, und die tägliche Routine an Bord der Andiron marterte ihn nach und nach immer mehr, obwohl er die relative Freiheit genoß, sich im Heck der Fregatte aufhalten zu dürfen. Von dort verfolgte er das regelmäßige Kommen und Gehen kleiner Küstenfahrzeuge und den üblichen Tagesablauf eines Schiffes vor Anker. Abends wurde er in die Einsamkeit einer kleinen Kajüte zurückgebracht. Farquhar und Belsey sah er nur bei den Mahlzeiten. Selbst dann konnten sie kaum offen miteinander sprechen, weil sich stets einer der Unteroffiziere der Andiron in der Nähe aufhielt.
Die Andiron hatte hier erst vor einer Woche Anker geworfen, doch Bolitho schien es eine Ewigkeit her. Mit jedem Tag zog er sich mehr in sich selbst zurück und grübelte über seine mißliche Lage nach, bis ihm der Kopf schwirrte.
Von dem ihm zugewiesenen Platz an Deck sah er Belsey düster neben Farquhar auf einem Lukendeckel sitzen. Beide starrten über das leere Meer. Sie warten, dachte er bitter, wie jeder andere an Bord. Sie warten und fragen sich, wann die Phalarope auftauchen und in die Falle gehen wird. Ihm fiel auf, daß Belsey eine neue Bandage um den Arm trug, und rief sich den ersten, aber nur kleinen Triumph zurück, als ihm nach dem Gespräch mit seinem Bruder gestattet worden war, mit den beiden zusammenzusein.
Es war ersichtlich, daß sie inzwischen erfahren hatten, wer der Kapitän der Andiron war, aber ebenso ersichtlich war ihre Erleichterung, ihn wiederzusehen. Glaubten sie wirklich, daß er sie verlassen und zum Feind übergehen könnte? Selbst jetzt noch überraschte und freute es ihn ein wenig, daß er sich über eine solche Annahme ärgern konnte.
Belsey hatte seinen Arm unter Schmerzen bewegt und gesagt: »Der Schiffsarzt wird sich den Bruch ansehen, Sir.«
In diesem Augenblick war ihm Farquhars Dolch eingefallen, der, unter dem behelfsmäßigen Verband verborgen, als Schiene diente. Zu sprechen wagte er nicht. Die anderen beobachteten ihn jedoch, als er vom Kajütenstuhl ein Brett abbrach. Mit Farquhars Hilfe ersetzten sie den Dolch durch ein Stück Mahagoni. Belsey hatte einmal laut aufgeschrien, aber Bolitho zischte: »Still, Sie Narr! Den Dolch können wir vielleicht noch brauchen.«
Er versteckte ihn unter seinem Bettzeug. Doch ein qualvoller Tag verstrich nach dem anderen, und er beurteilte den Besitz einer so geringfügigen Waffe nicht mehr so hoffnungsvoll. Von seinem Bruder hatte er wenig gesehen und war dankbar dafür.
Einmal hatte er beobachtet, wie er in der Gig an Land gepullt wurde. Und einige Male hatte er ihn zu den Wänden des Vorgebirges hinaufstarren sehen, die hinter dem verankerten Schiff
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