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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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da draußen, die sie nicht mehr haben wollte, die kein Interesse an ihr hatte. Mit diesem Brief hatte Ruth Abschied genommen von der Hoffnung, alles das würde sich als Irrtum erweisen, von der Hoffnung, der Albtraum würde für sie irgendwann ein Ende nehmen.
    Claras Hände zitterten, als sie den Brief zusammenfaltete und ungeschickt zurück in das Kuvert steckte. Die blutverschmierten Pantoffeln fielen ihr ein, in denen diese Briefe gesteckt hatten, und sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Bestürzt hielt sie sich die Hände vor den Mund und starrte mit feuchten Augen nach draußen. Es hatte tatsächlich zu schneien begonnen. Mehr Regen als Schnee, dicke nasse Flocken, die schmolzen, sobald sie auf den feuchten Asphalt trafen.
    Nach endlosen Minuten, in denen Clara versuchte, sich zu sammeln, winkte sie dem Kellner und bestellte sich einen Whisky. Irgendeinen, ganz egal welchen, Hauptsache pur und ohne Eis.
    Sie sah dem Kellner nach, wie er davoneilte. Vor den aufgereihten Flaschen hinter der Bar blieb er stehen, musterte die Etiketten und griff dann nach einer schlanken, halbvollen Flasche.
    Clara wandte den Blick ab, holte ihren Notizblock aus der Tasche und notierte:
     
    Schneekönigin = Agnes Thiele?
Maja =? (Selbstmord?)
Geliebter =???!!!
     
    Danach kippte sie den Whisky, den der junge Mann ihr gebracht hatte, in einem Zug, und die rauchige Schärfe des Alkohols trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. Langsam packte sie ihre Sachen zusammen, bezahlte und ging.
    An der Schwelle blieb Elise ruckartig stehen, schnupperte und warf dann Clara einen vorwurfsvollen Blick zu, als wäre sie für das Mistwetter verantwortlich.
    Clara tätschelte ihrem Hund die Flanken. »Tut mir leid, Dicke, aber da müssen wir jetzt raus.«
    Elise drehte sich um, schnaufte und wollte in das Lokal zurückzukehren.
    »Stopp!« Clara bekam sie am Halsband zu fassen und klinkte ihre Leine ein.
    Elise ließ sich theatralisch auf den Boden fallen und vergrub die Schnauze unter ihren dicken Pfoten. Wie ein überdimensionierter Kartoffelsack lag sie quer im Vorraum des Lokals und schien dort bleiben zu wollen.
    Unsanft versuchte Clara, sie hochzuhieven, doch außer dass sie der Dogge das Halsband fast über die Ohren zog, erzielte sie damit keinen nennenswerten Erfolg. »Jetzt hab dich doch nicht so!«, schimpfte sie. »Wir fahren mit der U-Bahn.«
    Elise reagierte mit einem Grunzen und einem ungerührten Blick aus ihren blutunterlaufenen Augen und bewegte sich keinen Millimeter.
    Clara schlug einen schärferen Ton an: »Steh auf, sofort!«, zischte sie zornig. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der junge Kellner ihnen einen belustigten Blick zuwarf, und spürte, wie sie rot wurde. »Wirst du jetzt …«, begann sie und zog mit einem Ruck an der Leine, doch Elise bewegte sich nicht. Ratlos ließ Clara die Arme sinken. »Was bist du nur für ein verdammt stures Weib«, murmelte sie, dann ließ sie die Leine los, kletterte über den Körper ihres Hundes und ging zurück in das Lokal.
    Endlich hob Elise den Kopf.
    Clara blieb stehen und machte eine auffordernde Handbewegung: »Na, was ist jetzt? Zufrieden?«
    Zusammen mit ihrem Hund stolzierte sie zurück zu dem Platz, von dem sie gerade aufgestanden war. Im Vorübergehen bestellte sie beim Kellner, der sie verwundert musterte, eine zweite Portion Butterbrote.
    Als Clara und Elise in die Kanzlei zurückkehrten, war es bereits dunkel. Sie sperrte auf, lief zu ihrem Schreibtisch und packte Ruths Akten in ihre Tasche. Auf dem Monitor ihres PC prangte ein großer pinkfarbener Post-it-Zettel: Rechtsanwaltskammer hat zweimal angerufen, sie sind stinksauer!!! Linda.
    Clara verzog das Gesicht. Richtig, Linda hatte gestern Abend etwas erwähnt von einem Termin mit dem Fuzzi von der Kammer, wegen der Strafanzeigen, die gegen sie liefen. Das hatte sie vollkommen verschwitzt. Oder möglicherweise auch verdrängt. Na, sie würden ihr schon nicht gleich die Zulassung entziehen. Hoffte sie jedenfalls. Im Moment gab es jedenfalls Wichtigeres zu tun. Sie klemmte sich ihre schwere Tasche unter den Arm und machte sich auf den Heimweg.
     
    Wer war Ruth Imhofens Geliebter? An dieser Frage hakten sich Claras Gedanken fest, darum drehte sich alles.
    Sie blätterte die alte Strafakte von 1983 noch einmal durch. Sorgfältig las sie Seite für Seite. Johannes Imhofens Zeugenaussage, den Bericht der Polizei, die wenigen Angaben der Partygäste. Niemandem war etwas aufgefallen, alle waren früher gegangen,

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