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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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wie die Namen aus Ruths Briefen plötzlich Gestalt annahmen, zu realen Menschen wurden: Pablo, Maja, die Schneekönigin … zwei davon waren bereits tot. Was, wenn Pablo ebenfalls tot war? Auf diesen Gedanken war sie noch gar nicht gekommen. Sie schob ihn schnell beiseite und konzentrierte sich wieder auf Gruber.
    »Wir haben auch … den Raum gefunden«, fuhr der Kommissar nach einer Weile zögernd fort.
    Clara starrte ihn an: »Die weiße Kammer? Sie ist noch da? Sie hatten sie noch … in Betrieb?« Die letzte Frage flüsterte sie fast.
    Gruber schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Der Raum wirkte unbenutzt, ziemlich staubig und so. Es lässt sich allerdings nicht sagen, seit wann das so ist. Sicher nicht seit zwei Jahrzehnten, würde ich sagen.« Er hob die Schultern. »Jedenfalls war alles noch da: Der Schallschutz, die hellen Lampen, eine Kamera …« Er wandte den Blick ab und bestellte sich noch einen Kaffee.
    Clara spürte, wie sich etwas in ihr zusammenzog. Das Engegefühl überkam sie wieder schlagartig, es war, als könne sie nicht mehr richtig atmen, als befände sich zu wenig Sauerstoff im Raum. Die Luft um sie herum schien sich in eine zähe, dichte Masse verwandelt zu haben, die ihr die Nasenlöcher verklebte, in ihre Lungen drang und dort den letzten Rest Atemluft aus den kleinen Verästelungen presste, um sich dann wie eine schwere, heiße Decke auf ihr Herz zu legen.
    Sie öffnete den Mund, schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende und stürzte ohne ein Wort zu Gruber nach draußen. Schwer atmend lehnte sie sich an die Hauswand und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Straße vor ihr, ohne die vorüberfahrenden Autos und die Passanten wirklich zu sehen. Ihr war schwindlig, und sie hatte das Gefühl, jeden Moment umzukippen. Nach ein paar endlosen Minuten verebbte die Panik, und dann war der Anfall vorüber, so schnell und unvermittelt, wie er gekommen war. Mit zitternden, eiskalten Fingern zündete sich Clara eine Zigarette an und klammerte sich daran fest wie an dem sprichwörtlichen Strohhalm.
    In dem Moment kam Gruber heraus, die beiden Kaffeebecher in der Hand. »Alles in Ordnung?«, fragte er und sah ihr forschend ins Gesicht. »Sie sehen ein wenig grün aus.«
    Clara gelang ein wackeliges Lächeln. »Geht schon wieder, ich habe einen niedrigen Blutdruck.«
    Er stellte die beiden Tassen auf einem Stehtisch ab und sah sie streng an: »Das kommt vom Rauchen.«
    Clara nickte matt. »Wahrscheinlich, Herr Kommissar.« Sie griff nach ihrem Kaffee und trank einen Schluck. Er war glühend heiß und schmeckte bitter, doch Clara kam es so vor, als sei es das Köstlichste, was sie seit langem getrunken hatte. Sie schloss für einen Moment die Augen.
    »Dachte ich mir, dass Sie noch einen gebrauchen können«, stellte Gruber zufrieden fest. »Ich hab dem Mädel gesagt, sie solle ihn extra stark machen, nicht so ein gefärbtes Abspülwasser wie der, den sie uns zuerst gebracht hat.«
    Clara trank noch einen Schluck. »Danke«, murmelte sie. »Wo waren wir stehen geblieben?«
    Gruber rieb sich den Nacken, dann meinte er etwas unbehaglich: »Bei der weißen Kammer, wie Sie sie nennen.«
    Clara nickte. »Was sagt denn Herr Selmany dazu?«
    Gruber verzog den Mund. »Will natürlich von nichts gewusst haben, ein vollkommenes Unschuldslamm. Dieser Raum sei seines Wissens seit seiner Zeit als Leiter der Klinik ausschließlich als Abstellraum für Putzzeug und nicht benötigte Betten oder Ähnliches benutzt worden. Ha!« Er schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, wo sich der Raum befindet? Im Turm! Eine wirklich praktische Abstellkammer für nicht benötigte Betten! Der Raum befindet sich am Ende einer Treppe und misst höchstens 6 m 2 .« Er schüttelte heftig den Kopf. »Der hält sich für superschlau!«
    Doch dann hielt er unvermutet inne und sah Clara an: »Und wahrscheinlich kommt er damit sogar durch! Der Tod dieser jungen Frau passierte vor seiner Zeit, die dokumentierten Versuche, deren Unterlagen Sie mir gegeben haben, ebenfalls, und ich habe so meine Zweifel, ob wir ihm irgendwas werden nachweisen können. Vor allem deshalb, weil die alte Leiterin der Klinik, Agnes Thiele …«
    »…tot ist«, vervollständigte Clara seinen Satz. »Ich weiß, ich wollte gestern mit ihr sprechen.« Und als Gruber ihr einen missbilligenden Blick zuwarf, fügte sie mit einiger Schärfe noch hinzu, »das ist doch nicht verboten, oder?«
    Gruber hob in spöttischer Abwehr die Hände. »Nur zu, Frau Anwältin, tun

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