Brudermord
sich widerstrebend auf eine drängende Bitte einlassen.
»Wann? Wo?« Clara zappelte vor Ungeduld.
»Um halb zwölf.« Er nannte ihr ein kleines Stehcafé ein paar Ecken vom Polizeipräsidium entfernt. Offenbar wollte er vermeiden, dass sie zusammen gesehen wurden.
Als er auflegte, blieb Clara einen Augenblick wie betäubt sitzen. Sie hatte gewusst, dass heute etwas passieren würde. Sie hatte es gewusst. Bis jetzt war sie der Meinung gewesen, es hinge mit ihrer Entdeckung von Pablos richtigem Namen zusammen, doch jetzt war sie sich nicht mehr sicher, was aufregender und vor allem weitreichender war. Sie hatten Schloss Hoheneck durchsucht. Gruber hatte es tatsächlich geschafft, den Durchsuchungsbefehl zu erwirken. Claras Hochachtung vor dem mürrischen kleinen Mann wuchs. Er war ein schlauer Fuchs. Man durfte ihn nicht unterschätzen. Wahrscheinlich hatte die Polizei jede Menge Unterlagen beschlagnahmt. Was würden sie finden? Würde es reichen, um Selmany zur Verantwortung zu ziehen?
Clara stand auf. Bis halb zwölf blieb noch genug Zeit, um der Galerie einen Besuch abzustatten.
Als Willi sah, dass Clara gehen wollte, nahm er umständlich seine Brille ab und begann: »Clara ….«
Clara winkte ab: »Keine Zeit. Ich habe einen wichtigen Termin.«
Sie stiefelte mit Elise im Gefolge zur Tür, ohne nach links und nach rechts zu schauen. Als die Tür hinter ihr zufiel, hatte sie das Gefühl, es Willi und Linda heimgezahlt zu haben. Doch es fühlte sich nicht gut an. Sie schüttelte abwehrend den Kopf, dass ihre Locken nur so flogen.
»Zum Teufel mit euch«, murmelte sie zornig und traurig zugleich. »Ach, rutscht mir doch den Buckel runter!«
Die Galerie befand sich in Schwabing, in einer kleinen Seitenstraße. Der junge Mann, der zunächst beflissen auf sie zugeeilt kam, geriet beim Anblick Elises merklich ins Stocken und stoppte schließlich mit einen sorgenvollen Blick auf die umstehenden Exponate, zerbrechlich wirkende, abstrakte Gebilde aus Glas und Porzellan auf zierlichen Sockeln, durchaus in Reichweite von Elises freundlich wedelndem Schwanz.
Claras hastigem Befehl, Platz zu machen, leistete Elise ohne Widerstand Folge und ließ sich mit einem Plumps auf den Fußabstreifer am Eingang fallen.
Der junge Mann zuckte zusammen und warf dem Hund einen misstrauischen Blick zu. »Äh, ja, kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte er schließlich zögernd und bemühte sich um ein verbindliches Verkäuferlächeln.
Clara zeigte ihm den alten Prospekt von 1995 und trug ihm ihr Anliegen vor.
Der Mann runzelte die Stirn. »Ja, also ich war zu dieser Zeit noch gar nicht hier tätig …« Er kratzte sich am Ohr. »Jakob Schelling, tja, das sagt mir gar nichts …«
»Sie haben doch sicher ein Verzeichnis der hier ausstellenden Künstler, die Adressen für Interessenten?«, versuchte ihm Clara auf die Sprünge zu helfen.
»Ja, ja natürlich, aber das ist ja schon über zehn Jahre her, ich weiß nicht, ob wir die Dinge so lange aufbewahren.« Er machte ein zweifelndes Gesicht.
»Und wie wäre es, wenn Sie einfach einmal nachsehen würden?«, fragte Clara in ihrem liebenswürdigsten Ton.
»Oh, natürlich.« Der junge Mann wandte sich nach einem letzten beschwörenden Blick auf Elise zu einer Tür an der rückwärtigen Wand, die offenbar ins Büro führte.
Clara lächelte. »Wir rühren uns auch nicht von der Stelle, versprochen.«
Er kam nach kaum fünf Minuten wieder, ein Blatt Papier in der Hand. »Ich habe die Ausstellung gefunden!«, verkündete er triumphierend. »Wir hatten den Künstler noch im Verzeichnis.«
»Ja?« Clara musste sich beherrschen, um nicht einfach nach dem Zettel zu greifen.
Der junge Mann musterte sie plötzlich spektisch. »Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen die Adresse so einfach geben darf, das verstößt sicher gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Wenn Sie eine Interessentin sind, werden wir für Sie den Künstler kontaktieren …«
»Nein!« Clara räusperte sich. Verdammt. Für den Fall, dass man ihr die Adresse nicht herausgeben würde, hatte sie sich gar keine Strategie überlegt.
»Ich bin keine Interessentin«, sagte sie schließlich zögernd und überlegte gleichzeitig fieberhaft, was sie denn sonst sein könnte.
»Ach nicht?«, kam es gedehnt von dem Mann, und er hob die Augenbrauen. »Weshalb wollen Sie dann die Adresse von Jakob Schelling?«
»Weil … weil ich … Ruth bin«, platzte Clara schließlich heraus und wurde rot.
Der Mann runzelte verständnislos die
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