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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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einem Reißnagel an die Wand gepinnt. Clara ging näher heran und erkannte den gleichen Baum wie auf dem Schild neben der Tür, aber größer, er stand in einem Garten, von einem Zaun umgeben, im Hintergrund waren leicht angedeutet Hausdächer zu erkennen und ein schiefer Kirchturm.
    »Haben Sie das gezeichnet?«, fragte Clara und wandte sich wieder zu der Frau um. Ihr Nicken war kaum zu erkennen, lediglich die Kinnpartie spannte sich ein wenig.
    »Das ist sehr schön«, sagte Clara und setzte sich auf einen der Stühle am Tisch. »Wollen Sie sich nicht ein bisschen zu mir setzen?«
    Die Frau zögerte, doch dann lösten sich ihre Finger, einer nach dem anderen, vom Stuhl, und sie beugte sich nach vorne, um aufzustehen. Claras Hände zuckten unwillkürlich hoch, wie um zu helfen, während sich Ruth Imhofen langsam aufrichtete, dabei sorgfältig ihren Sweater gerade zog und sich dann mit Bedacht in Bewegung setzte. Sie ging auffallend langsam, doch es sah nicht so aus, als habe sie Schmerzen. Eher wirkte es so, als benötigte sie die Zeit, um ihre Bewegungsabläufe zu koordinieren, als wäre der Weg von ihrem Gehirn zu den Beinen länger als bei anderen Menschen. Jeder Schritt war ein Ereignis, jedes aufmerksame Heben der Beine, das sachte Aufsetzen auf den beigefarbenen Teppichboden ein besonderer Akt.
    Clara beobachtete sie fasziniert. Es war, als hätte sie noch nie zuvor jemanden gehen sehen.
    Beim Tisch angekommen, zog Ruth Imhofen fast lautlos den Stuhl heraus und setzte sich mit derselben Bedächtigkeit, wie sie sich bewegt hatte.
    Clara lächelte sie freundlich an und versuchte, ein Gespräch zu beginnen: »Sie zeichnen gerne?«
    Die Frau nickte wieder, stumm, doch dann senkte sie den Kopf und murmelte etwas. Ihre Stimme war leise und kaum zu verstehen.
    »Wie bitte?« Clara beugte sich nach vorne über den Tisch. Wieder ein undeutliches Murmeln, kaum lauter als beim ersten Mal.
    »Farben?«, wiederholte Clara zögernd. »Haben Sie Farben gesagt?«
    Die Frau hob den Kopf. »Keine Farben«, sagte sie plötzlich deutlich.
    »Sie haben keine Farben? Sie möchten mit Farben malen?«, versuchte Clara zu raten. Die Augen der Frau leuchteten auf. Sie nickte.
    »Ich kann Ihnen Farben besorgen«, sagte Clara, froh, etwas gefunden zu haben, womit sie Ruth Imhofen erreichen konnte. »Was möchten Sie denn gerne? Buntstifte oder Kreiden? Vielleicht Ölfarben?«
    »Aquarellfarben«, sagte die Frau und warf ihr einen vorsichtigen Blick zu. »Krapplack, Indischgelb, Umbra …«, sie verstummte und biss sich auf die Lippen, als habe sie zu viel verraten.
    »Ich werde mich darum kümmern«, versprach Clara, die wenig Ahnung von Farben hatte. »Hat man Ihnen schon gesagt, dass ich jetzt für Ihre Angelegenheiten zuständig bin?«, fragte sie dann. »Sie können sich mit allem an mich wenden.«
    »Nein.« Die Antwort kam leise, aber bestimmt.
    Clara sah sie verwirrt an. »Sie möchten das nicht?«
    Ruth Imhofen schüttelte den Kopf, wobei sich eine weitere Strähne ihres Haars löste. »Dr. Lerchenberg kümmert sich um mich.«
    Clara atmete tief ein, dann sagte sie zögernd: »Dr. Lerchenberg ist … also er … er … hat mich um Hilfe gebeten.« Sie verfluchte sich für ihre Feigheit und fügte hinzu: »Es war sein ausdrücklicher Wunsch.«
    Die Frau starrte sie an, ihre großen Augen schienen jetzt fast schwarz, dunkle Löcher in dem papierenen Gesicht: » War ?«, wiederholte sie, und Clara sah, wie sich ihre Hände auf dem Tisch ineinander verkrampften. »Hören Sie, Frau Imhofen«, begann sie hilflos, »ich …«
    »Was ist mit ihm?«
    Die Stimme der Frau hatte sich verändert, sie hatte einen brüchigen Klang bekommen, und Clara wurde plötzlich unbehaglich zumute. Sie warf einen Blick zur Tür. Warum war nur dieser junge Mann, Elmar, nicht bei ihr geblieben?
    Die Frau hatte ihren Blick bemerkt, und sie wurde noch blasser, ihre Lippen verloren jegliche Farbe. »Sie haben ihn umgebracht!«, flüsterte sie.
    »Aber nein!« Clara zuckte zusammen. »Es war ein … Unfall.« Sie schüttelte den Kopf, unfähig, eine Erklärung zu geben.
    Die Frau fragte nicht mehr nach. Sie wandte den Blick von Clara ab und sah zum Fenster hinaus. »Werden Sie mich jetzt wieder zurückbringen?«, fragte sie leise.
    Clara hörte die Angst und Resignation in ihrer zitternden Stimme und spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Ihre Befürchtung, dass die Dinge nicht so einfach waren, wie Dr. Selmany ihr hatte weismachen wollen, verstärkte sich und

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