Brudermord
und ein abgewetztes braunes Cordsakko. Das Bemerkenswerteste an seiner Erscheinung jedoch war sein vollkommen kahler Schädel, der ihm zusammen mit seiner imposanten Statur etwas Gefährliches verliehen hätte, wenn nicht ein durch und durch gutmütiges Lächeln auf seinem zerknautschten Gesicht gelegen hätte. So wirkte er nur auf eine sehr angenehme Art und Weise Respekt einflößend.
»Gottes Wege sind unergründlich«, murmelte Clara leise vor sich hin, während Elmar seinen Chef begrüßte und ihn ihr förmlich vorstellte. Sie schüttelten sich die Hand.
»Ich kann Ihnen also helfen?«, erkundigte sich Pater Roman noch einmal und setzte sich in den Stuhl unter dem Fenster.
Clara setzte sich ebenfalls wieder. »Es geht um Ruth Imhofen …«, begann sie, doch Elmar platzte dazwischen.
»Ralph Lerchenberg ist tot!«, rief er, und das Gesicht des Paters verzog sich zu einer schmerzhaften Grimasse. »Ich weiß, Elmar«, sagte er und senkte den Blick auf seine Hände. »Ich habe es heute Morgen erfahren.«
»Aber … wie kann das sein?« Elmar wurde immer aufgeregter, jetzt, da diese Nachricht bestätigt worden war. »Er war doch am Montag erst noch da und …« Ein kurzer Blick von Pater Roman veranlasste ihn, so abrupt den Mund zuzuklappen und zu verstummen, als hätte man den Strom abgestellt. Clara warf den beiden einen misstrauischen Blick zu. Wollten sie etwas vor ihr verbergen?
Pater Roman machte eine beschwichtigende Geste in Elmars Richtung und sagte ruhig: »Wir werden darüber noch sprechen. Bitte, lass mich jetzt zuerst mit Frau Niklas reden.«
Elmar öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann überlegte er es sich anders. Mit einem knappen Nicken drehte er sich um und verließ den Raum.
Pater Roman wandte sich Clara zu: »Dr. Lerchenberg und ich kannten uns seit vielen Jahren. Ich war Seelsorger in der Klinik, in der er als Assistenzarzt angefangen hat.« Er seufzte. »Er war ein guter Arzt. Ein hervorragender Diagnostiker.«
Clara sagte vorsichtig: »Es gibt aus Ihrer Sicht also keine Zweifel an seiner Entscheidung, Ruth Imhofen aus der Klinik zu entlassen?«
Pater Roman hob den Kopf und sah sie an. »Aus Ihrer denn?« Es klang wachsam.
Clara hob die Arme und schüttelte energisch den Kopf. »Keine Ahnung. Hören Sie, ich weiß überhaupt noch nichts über diesen Fall, Dr. Lerchenberg konnte mir nichts mehr dazu sagen, und ich habe Frau Imhofen gerade eben zum ersten Mal gesehen.« Sie machte eine Pause, dann fügte sie hinzu: »Der Leiter dieser Klinik, Dr. Selmany meinte …«
»Pah! Ein eitler, geldgieriger Scharlatan ist das!«, polterte Pater Roman wenig christlich los. »Unverantwortlich, Menschen in seine Obhut zu geben.«
»Tatsächlich!« Clara hob die Augenbrauen. »Schloss Hoheneck ist doch aber eine angesehene Klinik, oder nicht?«
»Angesehen? Ja, angesehen ist sie schon: Bei den Leuten, die ihre kranken Angehörigen auf elegante Weise entsorgt sehen wollen und das nötige Kleingeld dafür hinblättern können!«
Clara musterte ihn interessiert. »Aber wie kam es dann, dass Dr. Lerchenberg dort arbeitete, wenn er ein so guter Arzt war, wie Sie sagen?«
Pater Romans Boxergesicht verzog sich zu einem bitteren Lächeln. »Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, eine gut bezahlte Stelle in einer Klinik zu bekommen? Ralph hatte Familie, zwei Töchter, sie haben in der Nähe von Starnberg ein Haus gebaut …« Er schüttelte nachdenklich den Kopf, und Trauer überschattete seine Augen. »Wie werden Britta und die Kinder das nur verkraften?«
»Glauben Sie, dass Dr. Lerchenberg Selbstmord begangen hat?«, fragte Clara ihn direkt.
Pater Roman antwortete nicht sofort. Er hob den Kopf und warf einen Blick auf das Poster an der Wand, als könnte er von Frank Zappa Hilfe erwarten. Vielleicht galt sein Blick aber auch dem Kruzifix daneben. Als er sich nach einer Weile stummer Zwiesprache mit wem auch immer wieder Clara zuwandte, war sein Gesicht sorgenvoll, und er schien sich seine Worte genau zurechtzulegen. »Nein. Das glaube ich nicht. Ralph Lerchenberg war der verantwortungsvollste Mensch, den ich kannte. Er hätte sich nie auf diese Weise aus dem Staub gemacht und seine Familie und seine Patienten im Stich gelassen.«
Clara zögerte, bevor sie ihm die nächste Frage stellte: »Dann halten Sie es auch nicht für möglich, dass er tablettenabhängig war? Oder getrunken hat? Dr. Selmany hat so etwas angedeutet …«
Pater Roman sah sie direkt an. An seinem Blick konnte man
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