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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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möglich?«
    Pater Roman nickte traurig. »So etwas ist möglich.«
    »Und weshalb hat man sie jetzt doch entlassen? Ist sie geheilt? Was fehlte ihr denn überhaupt?« Clara war vollkommen verwirrt. Sie dachte an die verschreckte Frau, die sie heute Morgen gesprochen hatte, und versuchte sich vorzustellen, dass sie mehr als die Hälfte ihres Lebens in einer Klinik verbracht hatte. Es gelang ihr nicht.
    »Wie Sie wissen, hat Ralph dafür gesorgt, dass Ruth entlassen wurde. Er hat ihre Geschichte untersucht und war der Meinung, sie sei psychisch vollkommen gesund.« Bitterkeit lag in den blauen Augen des Paters, als er fortfuhr: »Wenn man einmal von den Schäden absieht, die so ein langer Aufenthalt in der Psychiatrie mit sich bringt, ist Ruth Imhofen so normal wie Sie und ich.«
    »Aber …« Clara sah ihn ratlos an. In ihrem Kopf türmten sich Fragen über Fragen. Sie öffnete den Mund, doch in dem Moment zückte Pater Roman seinen Geldbeutel, um zu bezahlen.
    »Sie nehmen die Socken, ja? Sie sind hübsch. Luzie hat sie gestrickt, eine unserer Dauergäste …«
    Clara nickte resigniert. »Ich habe Luzie schon kennengelernt.«
     
    Als sie langsam zum Haus Maximilian zurückgingen, fiel Clara doch noch etwas ein, was sie Pater Roman unbedingt fragen musste. »Welche Rolle spiele denn eigentlich ich in der ganzen Sache? Wenn Dr. Lerchenberg der Meinung war, Frau Imhofen ist gesund, weshalb braucht sie dann eine Betreuung? Und warum erst jetzt und nicht schon, als sie entlassen wurde?«
    Pater Roman blieb vor der Tür des Wohnheims stehen und maß sie mit einem langen Blick.
    Clara fiel auf, dass er keine Wimpern hatte und auch keine Augenbrauen. Das ausdrucksstarke Gesicht mit dem gesunden Teint war vollkommen unbehaart, ebenso wie sein Kopf. Er schien erneut seine Worte genau abzuwägen. Lag es daran, dass er keinen Schatten auf das Verhalten seines Freundes fallen lassen wollte, wie Clara zunächst angenommen hatte, oder hatte seine Vorsicht womöglich einen ganz anderen Grund?
    Schließlich entschied er sich dafür, ihre Frage zu beantworten: »Er wollte Ruth beschützen. Ihm war klar, was auf sie zukommen würde, wenn bekannt werden würde, dass sie kurz zuvor entlassen worden war.«
    »Vor was denn, um Himmels willen?«, fragte Clara. Dr. Selmany hatte bereits ähnliche Andeutungen gemacht, ohne sie aufzuklären.
    »Vor dem Mord an Johannes Imhofen, natürlich. Haben Sie davon denn nichts gelesen?«
    Schlagartig fiel Clara ein, weshalb ihr der Name Imhofen so bekannt vorgekommen war. Am Montag hatte es in allen Zeitungen gestanden: Der Gründer und Vorstandsvorsitzender der Imac AG war in der Tiefgarage seines Hauses erschlagen aufgefunden worden. Johannes Imhofen. Langjähriger Stadtrat, einflussreicher Manager, ein »Wohltäter der Stadt München«, wie es in den Blättern geheißen hatte.
    »Johannes Imhofen?«, wiederholte sie langsam und spürte den kleinen Knoten in ihrem Magen wieder, der sich bei ihrem Besuch bei Ruth schon bemerkbar gemacht hatte. »Ist das Ruths …«
    »Ihr Bruder«, antwortete Pater Roman, bevor Clara ihre Frage beendet hatte.
    Clara starrte ihn an. »Sie glauben …«
    »Ich glaube gar nichts«, unterbrach sie der Pater unerwartet barsch. »Ralph Lerchenberg und auch ich waren lediglich der Meinung, es wäre von Vorteil, wenn Ruth nach dieser Sache jemanden an ihrer Seite hätte, der ihr beisteht. Sie ist noch lange nicht so weit, so etwas alleine durchzustehen. Und man weiß ja, wie solche Dinge in der Öffentlichkeit breitgetreten werden.« Sein gutmütiges Gesicht verzog sich zu einer bitteren Grimasse. »Sie können sich auf eine Hexenjagd gefasst machen.« Clara antwortete nicht. Wie bereits zuvor hatte sie das Gefühl, Pater Roman sprach aus eigener Erfahrung.
    Doch dann lächelte er schon wieder und erstickte jedes weitere Gespräch, indem er ihr charmant seine Hand reichte, eine große, warme Hand, in der Claras Finger fast verschwanden: »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden? Eine Menge unerquicklicher Papierkram wartet auf mich.« Clara verabschiedete sich nachdenklich. Als der Pater längst schon im Haus Maximilian verschwunden war, stand sie noch immer auf dem gleichen Fleck und sah ihm nach. Er wusste mehr, als er ihr gesagt hatte, dessen war sie sich jetzt sicher. Irgendetwas verbarg er vor ihr. Doch fürs Erste genügte ihr bereits das, was er ihr verraten hatte. Clara zündete sich eine Zigarette an und betrachtete den Rauch, der sich weiß in der kalten Luft

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