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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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berichtete, offenbar durch Schläge von großer Wucht mit einem stumpfen Gegenstand. Clara ließ die Zeitung sinken und starrte nachdenklich in die Luft. Sie versuchte, sich Ruth Imhofen vorzustellen, wie sie ihren Bruder erschlug. Hatte sie überhaupt die Kraft, so etwas zu tun? Die Zielstrebigkeit? Clara konnte es nicht glauben. Selten war sie bisher einem Menschen begegnet, der ihr hilfloser, verängstigter und vor allem passiver erschienen war als Ruth Imhofen. Noch dazu war sie klein und zart, bewegte sich wie in Zeitlupe. Clara schüttelte den Kopf. Das war alles Quatsch. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und legte die Zeitung auf den Stapel Akten, der darauf wartete, bearbeitet zu werden. »Könnten Sie mir schnell etwas schreiben, Linda? «, fragte sie und kramte in ihrer Tasche nach dem Fax, das sie gestern von Ralph Lerchenberg erhalten hatte.
    Die Sekretärin nahm ihren Kopfhörer ab. »Natürlich.«
    Clara reichte ihr das Fax. »Bitte schreiben Sie in dieser Sache an das Vormundschaftsgericht und bitten um Akteneinsicht. Schreiben Sie, aufgrund eines Todesfalles sind die Behandlungsakten derzeit nicht auffindbar oder so … machen Sie’s jedenfalls dringend, o.k.?«
    Linda nickte lächelnd und begann sofort zu tippen.
    Clara wartete, bis das kurze Schreiben aus dem Drucker kam, und unterschrieb. »Willi ist bei Rita, nehme ich an?«
    Linda nickte erneut und deutete auf die Uhr an der Wand. »Mittagessen.«
    Clara folgte ihrem Blick. Es war fünf nach zwei. Im gleichen Moment begann ihr Magen vernehmlich zu knurren. Man konnte sich schließlich nicht ausschließlich von Kaffee ernähren. Clara vergaß dies mitunter, wurde jedoch von ihrem Magen immer wieder mehr oder weniger geduldig daran erinnert. Ritas duftende Spaghetti all’amatriciana erschienen vor ihrem geistigen Auge, und sie griff nach ihrem Mantel. Dann rief sie nach Elise, die sich nur schwer von ihrem warmen Plätzchen trennen konnte. »Bis später!« Sie winkte Linda zu und verließ die Kanzlei, um ihren Magen mit dampfenden Nudeln, fruchtiger Tomatensoße und köstlichen Speckwürfeln zu verwöhnen.
     
    Willi saß am Fenster, einen leeren Teller vor sich und in eines seiner obskuren Bücher vertieft. Erst als Elise ihren großen Kopf auf die Tischplatte legte, schrak er hoch. Mit einem strengen Blick auf die Dogge, die ihn treuherzig ansah, klappte er sein Buch zu und verstaute es sorgfältig in seiner Tasche. Da Elise vor ein paar Monaten seinen Kommentar zur bayerischen Kleingartenverordnung aufgefressen hatte, betrachtete er ihre Liebesbezeugungen immer ein wenig mit Argwohn. Doch Elises Vorliebe für Kleingedrucktes hatte auch einen Vorteil: Sie zwang Willi dazu, seine wertvollen Bücher außerhalb ihrer Reichweite zu verstauen, anstatt sie überall in der Kanzlei herumliegen zu lassen, ein Umstand, der für beträchtliches Aufatmen vor allem seitens der Putzfrau gesorgt hatte, die einmal die Woche kam und so nicht immer fluchend um die Bücherstapel herumwischen musste.
    Clara gab Willi einen Kuss auf die Wange und ließ sich auf den Stuhl gegenüber plumpsen. »Ich habe Hunger wie ein Wolf«, stöhnte sie und begann mit zusammengekniffenen Augen die Tafel an der Wand zu studieren. »Gibt’s heute Spaghetti?«, fragte sie schließlich, nachdem sie eine Weile vergeblich versucht hatte, die Schrift zu entziffern.
    »Jawohl!«, bestätigte Willi und fügte hinzu: »Du könntest dir mal eine Brille anschaffen.«
    Clara warf ihm einen erbosten Blick zu. »Was für ein Quatsch! Ich sehe ganz ausgezeichnet.«
    Willi rückte seine eigene schwarze Hornbrille umständlich zurecht und meinte milde lächelnd: »Wenn du es sagst.«
    Clara sparte sich einen Kommentar und bestellte stattdessen bei Rita Spaghetti, Mineralwasser und ein Croissant für Elise. Während sie aß, erzählte sie Willi von ihrer neuen Mandantin. »Kannst du das glauben?« Sie wickelte sorgfältig die Nudeln um ihre Gabel. »Ich wusste nicht, woher ich den Namen Imhofen kenne, und jetzt erfahre ich, dass er ermordet wurde!« Sie kaute nachdenklich. »Und ich muss mich um seine verrückte Schwester kümmern und habe keine Ahnung, was eigentlich genau passiert ist.« Sie tunkte den Rest Soße mit einem Stück Weißbrot auf und schob den Teller beiseite.
    »Aber wenn sie verrückt ist«, sagte Willi und begann bedächtig, seine Pfeife zu stopfen, »dann sollte sie doch am besten wieder in die Klinik, oder?«
    Clara sah ihm zu, wie er den Tabak im Pfeifenkopf festdrückte und dann

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