Brudermord
ein Streichholz daran hielt. Eine Wolke Qualm stieg auf. Clara wedelte mit der Hand, und Elise zog sich unter den Tisch zurück.
»Bei dem Gestank wäre man fast versucht, Nichtraucher zu werden«, meinte Clara naserümpfend. »Aber bald bricht ja die rauchfreie Zeit an, da musst du deinen Stinker zu Hause lassen.«
Willi paffte vorsichtig, was einen weiteren Qualmausstoß zur Folge hatte, und meinte dann geheimnisvoll: »Abwarten, meine Liebe, abwarten, noch ist nicht aller Rauchertage Ende.«
Clara hob die Augenbrauen. »Ach? Und was gedenkst du, gegen ein Rauchverbot zu unternehmen?«
Willi lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Was ist nun mit deiner neuen Mandantin?«, lenkte er das Gespräch wieder auf ihr eigentliches Thema zurück. »Ist sie nun krank oder nicht?«
»Das ist ja das Problem.« Clara sah nachdenklich aus dem Fenster. »Ich bin mir nicht sicher. Sie ist ein wenig merkwürdig, ganz klar. Und ich weiß ja noch nicht einmal, was ihr eigentlich fehlte. Vierundzwanzig Jahre in einer Klinik. Das ist doch unglaublich, oder?« Clara schüttelte den Kopf. »Sie sei ›unberechenbar‹, hat mir dieser Dr. Selmany gesagt. Was auch immer das heißt.«
»Und doch hat ein Gericht verfügt, dass sie entlassen wird?« Willi runzelte die Stirn. »Das ist schon reichlich seltsam.«
»Ich habe Akteneinsicht beim Vormundschaftsgericht beantragt«, meinte Clara seufzend. »Weiß der Himmel, wann ich die bekomme. Und Ruths Krankenakten sind offenbar verschwunden, sagt jedenfalls dieser Selmany, er denkt, Ralph Lerchenberg hat sie mitgenommen.«
»Kann doch sein, dass er sie dir bei eurem Treffen geben wollte«, schlug Willi vor und klopfte seine Pfeife vorsichtig am Aschenbecherrand aus.
Clara betrachtete nachdenklich die verkohlten Tabakreste, von denen ein dünner Rauchfaden aufstieg. »Hm. Könnte sein. Trotzdem. Da stimmt etwas nicht. Ich verstehe, dass Lerchenberg wegen dem Mord an Imhofen aufgeregt war und dass er sich für Ruth verantwortlich fühlte, aber da war noch mehr. Er war so außer sich. Fast, als ob er Angst hätte.«
Willi sah sie zweifelnd an: »Vielleicht interpretierst du aber auch viel zu viel in die Sache hinein, nur weil dieser Arzt so plötzlich gestorben ist?« Er zündete seine Pfeife ein zweites Mal an.
Clara schüttelte energisch den Kopf. »Irgendetwas ist faul an der Geschichte, so viel ist mal sicher.«
Rita brachte ihnen zwei Tassen köstlich cremigen Espresso und einen kleinen Teller mit rosa und weiß überzogenen Mandeln. Ein kleines Marzipankärtchen lag dabei, auf dem in grünen, schnörkeligen Zuckerbuchstaben stand: Sabrina & Fabio.
»Oh, danke, Rita.« Clara nahm eine der Mandeln in den Mund und ließ die süße Glasur auf ihrer Zunge zergehen. »War es ein schönes Fest?«
Sabrina war Ritas Tochter, und sie hatte letzte Woche in Trient geheiratet. » Perfetto !« Rita strahlte. »Ein schönes Paar.« Sie zwinkerte glücklich, dann fügte sie noch hinzu. »Und wie es aussieht, werde ich bald nonna. « Clara stand auf und umarmte Rita. » Auguri, Rita, ich freue mich für euch!«
Rita löste sich aus Claras Umarmung und zwinkerte heftiger. »Eigentlich bin ich für eine Oma doch noch viel zu jung, oder?« Ihre dunklen Augen glänzten verdächtig.
»Es schadet nichts, eine schöne junge Oma zu sein«, mischte sich Willi ein und grinste zufrieden, als Rita vor Freude errötete.
»Wie wäre es mit einem Gläschen Prosecco?«
Es war schon fast vier, als Clara und Willi mit einem leicht schwebenden Gefühl im Kopf zurück in die Kanzlei kamen. Auf Claras Tisch lag ein dünner Ordner. Clara warf einen Blick darauf, dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist vollkommen unmöglich!«
Linda, die unten an ihrem Schreibtisch saß, lächelte zufrieden.
»Wie haben Sie das nur gemacht?«, fragte Clara ungläubig. »Normalerweise dauert so etwas doch mindestens eine Woche.«
Linda hob ihre Finger von den Tasten und streckte sie von sich weg. »Ich habe den Antrag persönlich abgegeben und darauf bestanden, die Akte sofort zu erhalten.« Ihr Lächeln wurde breiter, als sie Claras bewundernde Miene bemerkte. »Es ist schließlich von großer Dringlichkeit nicht wahr? Und ich möchte nicht meinen Job verlieren, nur weil meine jähzornige Chefin die Unterlagen nicht sofort bekommt.« Sie riss ihre großen Augen auf und vermittelte gekonnt den Eindruck eines verschreckten Büromäuschens.
Clara lachte. »Kompliment!«
Die Akte war nicht sehr ergiebig, denn das
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