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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Journalist sie in die Finger kriegt?« Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. »Von all den besorgten Bürgern, die nach diesem Scheißartikel aus Angst vor einer irren Doppelmörderin zu allem fähig sind, ganz zu schweigen!« Sie wedelte mit der Zeitung vor Elmars Gesicht herum, als wollte sie ihn damit schlagen, und er wich zurück.
    »Aber wir sind ein offenes Haus«, rechtfertigte er sich, ganz offenbar mit Pater Romans Worten. »Wir können niemanden einsperren!«
    »Hätten Sie nicht vielleicht eine Partie Backgammon mit Ruth spielen können oder sich sonst irgendwas einfallen lassen, wenn sie schon von Pater Roman klare Anweisungen hatten, auf Ruth aufzupassen?«, fauchte Clara und stopfte die Zeitung zurück in ihre Tasche.
    »Ich dachte ja, sie wäre in ihrem Zimmer! Sie muss sich rausgeschlichen haben!«, gab Elmar verzweifelt zurück, und Claras Zorn verrauchte plötzlich. Es war unfair, Elmar die Schuld an der Situation zu geben.
    »Ich gehe sie suchen«, sagte sie und fügte etwas versöhnlicher hinzu: »Vielleicht ist ja gar nichts passiert.«
    Elmar nickte dankbar. »Sie geht oft an der Isar entlang«, meinte er hoffnungsvoll. »Ich warte hier auf Sie.«
     
    Es war kalt und windig, und schwere graue Wolken hingen tief über der Stadt. Clara ging an der Maximilianskirche vorbei durch den kleinen Park und überquerte die Straße. Elise folgte ihr wie ein Schatten. Ratlos sah sie sich um. Sollte sie Richtung stadteinwärts zur Reichenbachbrücke gehen oder lieber in Richtung Wittelsbacher Brücke? Sie entschied sich für Letzteres, weil der Weg länger war und eher zum Spazierengehen einlud. Es war düster und ungemütlich zwischen den hohen Bäumen, und nur wenige Menschen waren unterwegs. Hatte Elmar überhaupt diesen Weg gemeint, oder ging Ruth normalerweise unten, direkt am Isarufer spazieren? Clara beugte sich über die niedrige Steinbrüstung und sah hinunter auf die Isarauen, die kalt und unwirtlich im trüben Herbstlicht dalagen. Kein Mensch war zu sehen. Sie ging weiter. Eine Frau mit einem Dackel kam ihr entgegen und versuchte, sie nach einem Blick auf Elise in ein Ach-ist-der süß-Gespräch zu verwickeln, aber Clara wimmelte sie ab und hastete rasch weiter. Sie schüttelte unwillig den Kopf, als sie wieder an ihr Gespräch mit Elmar dachte. Ruth konnte überall sein. Sie konnte sich sogar versteckt haben. Je länger Clara darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien ihr plötzlich diese Möglichkeit. Ruth hatte sicher mitbekommen, dass die Polizei gekommen war und sie sprechen wollte. Womöglich hatte sie auch die Zeitung gelesen. Da wäre es eine ganz natürliche Reaktion zu flüchten, zumal ihr Beschützer, Dr. Lerchenberg, tot war. Und für ihr Verschwinden würde man natürlich niemand anderen als Clara verantwortlich machen. Zu Recht. Sie hätte viel schneller reagieren müssen. Sie hätte sich gestern Abend noch mit Pater Roman in Verbindung setzen sollen. Ihre Gedanken begannen zu rasen, und sie beschleunigte ihren Schritt. Noch immer war niemand zu sehen, der auch nur eine Ähnlichkeit mit Ruth Imhofen hatte. Wo konnte sie nur hingegangen sein? Doch dann sah sie die Menschenansammlung auf der anderen Straßenseite und blieb stehen. An der Ecke, vor einem kleinen Getränkemarkt, stand eine Gruppe Menschen um etwas herum, was sie nicht erkennen konnte. Laute Stimmen ertönten, und als das Blitzlicht einer Kamera aufleuchtete, rannte Clara los. Mit Elise am Halsband lief sie über die Straße und rief bereits von weitem: »Halt! Stopp! Aufhören!« Einige der Passanten drehten sich kurz um, als sie ihre Rufe hörten, doch dann wandten sie sich sofort wieder dem Geschehen zu, das sich vor ihnen abspielte. Clara war endlich bei der Gruppe angekommen und drängte sich rücksichtslos durch die Menge, Elise eng an ihrer Seite. Der große Hund half ihr dabei, sich einen Weg zu bahnen, die Menschen wichen murrend, aber respektvoll vor dem großen Tier zurück. Endlich konnte sie sehen, worum sich die Gruppe Passanten geschart hatte, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ruth Imhofen stand eng an die Wand gepresst. Ihre Finger krallten sich schutzsuchend an den rauen Verputz, und ihr Blick verriet helle Panik. Vor ihr standen ein Mann und eine Frau, die Clara sofort als Journalisten identifizierte. Gerade zückte der Mann wieder seinen Fotoapparat und knipste frontal Ruths angstvolles Gesicht. Als das Blitzlicht aufleuchtete, schlug Ruth die

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