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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Hände vors Gesicht und begann zu wimmern. Es klang furchtbar wie ein verletztes Tier, und Clara stellten sich dabei die Nackenhaare auf. Langsam ging sie auf Ruth zu. »Frau Imhofen«, sagte sie leise und streckte ihre Hand aus. »Ich bin es, Clara Niklas.« Ruth wehrte ihre Hand heftig ab und begann, um sich zu schlagen.
    Unwillige Stimmen wurden laut. »Was will die denn da?«, brummte jemand, und eine andere war zu hören: »Die ist wohl lebensmüde.«
    Im gleichen Moment flammte erneut der Blitz auf, und Ruth sackte ein wenig in sich zusammen. Das Wimmern wurde lauter. Jemand lachte.
    Clara spürte, wie etwas in ihr tickte. Sie fuhr herum und schlug heftig nach dem Fotografen. »Aufhören! Sofort aufhören!«, schrie sie. Eigentlich hatte sie die Kamera treffen wollen, aber der Schlag war schlecht gezielt und traf den Journalisten im Gesicht. Mit einem Schmerzensschrei wich er zurück. Elise begann aufgeregt zu bellen, und Clara griff wieder nach dem Halsband, um sie zu beruhigen. »Haut ab!«, brüllte sie, außer sich vor Zorn, »Haut alle ab, sonst hetze ich den Hund auf euch!«
    Die Menschenmenge zerstreute sich nur widerwillig. Die meisten gingen lediglich auf die andere Straßenseite und glotzten dann aus sicherer Entfernung weiter zu ihnen herüber.
    Der Journalist hatte sich inzwischen wieder gefasst. Er blutete aus der Nase, und seine Kollegin hielt ihm ein Taschentuch hin: »Was fällt Ihnen ein? Wer sind Sie überhaupt?«, schnauzte sie Clara mit vor Empörung zitternder Stimme an, während sie ihren Kollegen dazu brachte, den Kopf in den Nacken zu legen und sich das Taschentuch auf die Nase zu pressen.
    Clara sah die beiden an und wusste, dass sie alles noch schlimmer gemacht hatte. Sie ließ Elises Halsband los und straffte die Schultern. Hochmütig und sehr viel selbstsicherer, als ihr zumute war, funkelte sie die beiden Journalisten an und sagte in ihrem arrogantesten Tonfall: »Ich bin Rechtsanwältin Niklas. Frau Imhofen ist meine Mandantin.« Dann drehte sie sich wortlos um und nahm Ruth Imhofen vorsichtig in den Arm. Sie wehrte sich nicht mehr. »Es ist gut«, flüsterte Clara. »Alles ist gut.« Es kümmerte sie nicht mehr, dass der Fotograf erneut die Kamera hob und aus einem Sicherheitsabstand von einigen Metern weiterknipste. Sie gab keine Antwort, als die Journalistin ihr ihre Fragen hinterherwarf wie kleine, harte Geschosse. Sie prallten an ihr ab, während sie die zitternde Frau behutsam vorwärts schob und sich mit ihr im Zeitlupentempo auf den Weg zurück zu Pater Romans Haus machte.
     
    Ruth Imhofen umklammerte ihre Tasse, als ob sie sich daran festhalten könne. Ihre Hände zitterten. Clara betrachtete sie hilflos. Sie hatte vorgeschlagen, einen Arzt zu rufen, doch Ruth hatte so vehement abgelehnt, dass Clara nicht darauf bestanden hatte. Stattdessen saß sie jetzt mit Ruth in deren Zimmer und wartete auf Pater Roman.
    Als sie nach einer Ewigkeit, wie es ihr schien, zurück im Haus Maximilian angekommen waren, hatte Elmar, dem das Schuldbewusstsein ins Gesicht geschrieben stand, hastig Tee gekocht, wohl um überhaupt irgendetwas zu tun. Clara hatte ihn zunächst mit eisiger Nichtachtung gestraft. Dabei gab sie die größere Schuld Pater Roman, der noch immer nicht zurück war. Laut Elmar war er unmittelbar nachdem die Polizei hier gewesen war, gegangen. Jetzt war es nach elf. Seine Abwesenheit machte Clara stutzig. Wäre es nicht naheliegend gewesen, den Termin zu verschieben? Stattdessen war er schon den halben Vormittag verschwunden und hatte dem völlig überforderten Elmar das Feld überlassen. Clara runzelte die Stirn. Was war das für ein merkwürdiges Verhalten? Wollte ihr Pater Roman womöglich aus dem Weg gehen? Sie trank einen Schluck von Elmars Tee und wandte ihre Aufmerksamkeit Ruth zu, die in seltsam steifer Haltung auf ihrem Stuhl saß und unbeweglich in ihre Tasse starrte. »Frau Imhofen«, begann Clara zögernd, »wie geht es Ihnen?«
    Ruth hob den Kopf und sah Clara an: »Haben Sie meine Farben dabei?«, fragte sie leise, so als wäre zwischen ihrem letzten Treffen und heute nichts passiert.
    »Oh. Äh, nein, noch nicht.« An Ruths Bitte hatte sie gar nicht mehr gedacht. »Ich bin noch nicht dazugekommen, aber heute Nachmittag, wenn ich wiederkomme, bringe ich sie Ihnen mit.« Sie holte Luft und fuhr behutsam fort: »Wissen Sie, dass heute Nachmittag die Polizei kommt, um mit Ihnen zu sprechen?«
    Ruth reagierte nicht. Sie starrte weiter in ihre Tasse, als ob sie

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