Brudermord
Veranstaltung, zu der seine Frau neuerdings immer samstags mit ihrem neuen Montainbike fuhr, mühsam ihren fetten Arsch auf dem winzigen Sattel im Gleichgewicht haltend. Dann radelte sie mit dem Adi und der Gitti, dem Rolf und dem Wolfgang und noch ein paar Weibern in ihrem Alter durch den Englischen Garten, an der Isar entlang bis nach Wolfratshausen. Gruber vermutete seit längerem, dass bei diesen Treffen noch was anderes lief als nur die Radelei. Doch seit ein paar Tagen wusste er es genau. Die Gitti, angeblich die beste Freundin seiner Frau, hatte es ihm gesteckt.
»Du weißt schon, dass die Irmgard was mit dem Adi hat, oder?«, hatte sie ihm letzte Woche in der Kneipe, wo sie sich alle manchmal trafen, ins Ohr geflüstert und dabei mitfühlend seinen Arm gedrückt.
Der Adi war es also. Gruber hatte vage genickt und seinen Arm weggezogen.
Doch die Gitti hatte weiterreden wollen: »Also ich versteh’ das ja gar nicht, mit diesem Adi, was sie nur an dem findet, wo ihr beide doch immer so verliebt wart …«
Da war er einfach aufgestanden und gegangen.
Adolf Wimbacher, der Versicherungsvertreter. Stirnglatze, Bauchansatz. Er kannte ihn nur flüchtig. Und seine Frau schlief mit ihm. Immer samstags nach dem Radltreff. Und wer weiß, wie oft unter der Woche, er war ja sowieso nie da. Da konnten sie sogar im Ehebett vögeln, und er würde es nicht merken. Gruber stand auf und stellte seinen Teller in die Spüle. Eigentlich fand er Irmgard immer noch sexy, besonders in dieser engen Jacke. Und gegen einen großen Hintern gab es auch nichts zu sagen.
Er drehte sich von ihr weg und nahm seine Jacke vom Haken hinter der Tür. »Ich muss noch mal ins Büro«, sagte er.
Irmgard nickte gleichgültig und schob sich eine lose Haarsträhne unter das Stirnband.
Er blieb stehen, wartete, wollte etwas sagen. Etwas Besonderes, etwas, mit dem sie wieder anfangen konnten. Zu reden und überhaupt. Doch er wusste nicht, wie er es anstellen sollte. »Viel Spaß beim Radeln«, sagte er und kam sich erbärmlich dabei vor.
Im Büro schlug er die Akte Imhofen auf. Sie bestand aus zwei Teilen, dem neuen, dünnen Ordner, der den Mord an Johannes Imhofen betraf, und einem dicken Ablageordner aus dem Archiv, der Fall Udo Reimers. Sie hatten die Akte der Staatsanwaltschaft nicht bekommen, angeblich war sie unauffindbar, aber zum Glück hatte es im Archiv eine komplette Zweitabschrift dieses alten Falles gegeben. Auf diese Sesselfurzer der Justizverwaltung hatte man sich ja noch nie verlassen können.
Er betrachtete das Foto von Ruth Imhofen, es war dasselbe, das in der Zeitung abgedruckt gewesen war, und verglich es mit der Frau, die er letzte Woche befragt hatte. »Die ist doch total kaputt«, murmelte er vor sich hin. »Fix und fertig ist die.« Die altbekannte, hilflose Wut stieg in ihm auf, als er an den verdammten Arzt dachte, der dabeigesessen und so getan hatte, als sei alles in bester Ordnung. Und dann diese Anwältin! Gruber konnte Anwälte nicht ausstehen. Sie waren die Pest. Obwohl es schon eine Ewigkeit her war, seit er auf der Polizeischule gewesen war, kamen ihm beim Anblick eines Vertreters dieser verhassten Berufsgruppe immer wieder die Verhaltensregeln für den Umgang mit Verteidigern in den Sinn, die man ihnen damals versucht hatte beizubringen: » Der Verteidiger ist ein Organ der Rechtspflege und arbeitet nicht gegen die Strafverfolgung, sondern für den Beschuldigten .« So eine gequirlte Scheiße. Ein anderer Satz fiel ihm dazu ein: » Der Verteidiger darf mit rechtsstaatlichen Mitteln die Wahrheit verhindern«, so hatte es allen Ernstes im Lehrbuch gestanden.
Ein feines Team hatte diese verrückte Imhofen da beisammen mit dieser rothaarigen Furie und dem Herrn Doktor Tenzer. Ihn hatte fast der Schlag getroffen, als er seinen Namen unter dem Gutachten gelesen hatte, mit dem die Imhofen entlassen worden war. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man diesem Arzt damals die Zulassung entziehen müssen, mindestens. Lange waren ihm die Bilder des Mädchens nicht aus dem Kopf gegangen, ein Kind, missbraucht und weggeworfen wie ein Sack Müll. Und dann die Eltern. Wie sie ihn angesehen hatten. Sie hatten eine Erklärung gefordert, von ihm, von wem sonst? Er hatte ihnen keine geben können. Nichts hatte er ihnen geben können. Keinen Trost, keine Hoffnung. Die Frage war einfach offen geblieben, für ihn genauso wie für die Eltern: Warum hatte man diesen Mann nur aus der Klinik entlassen? Warum? Warum nur?
Und
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