Bruderschaft der Unsterblichen
mußten sie ihrer Beute durch die Kalahari folgen, sie jagen, bis sie zusammenbrach, und das konnte eine Woche oder länger dauern. Sie waren vier, zu einer festen Gemeinschaft zusammengewachsen. Der Häuptling, der Anführer der Jagdgesellschaft. Der Schamane, der Handwerker und Zauberer, der die Hilfe des Übernatürlichen erflehte, wenn sie benötigt wurde, und anderseits als Kanal zwischen dem göttlichen Ch a risma und der Realität der Wüste fungierte. Der Jäger oder der Schöne, gerühmt für seine Grazie, Geschwi n digkeit und körperliche Ausdauer, der gleichzeitig die größten Lasten der Jagd trug. Zuletzt der Clown, klein und seltsam, der seine Scherze über die Mysterien des Schamanen machte, über die Schönheit und Kraft des Jägers, das Selbstbewußtsein des Häuptlings. Diese vier bildeten einen einzigen Organismus, jeder Teil von e s sentieller Wichtigkeit für das Ganze. Daraus entwickelte der Autor die Polarität der Gruppe und zog dabei einige an Yeats geschulte Achsen: Der Schamane und der Clown bilden die linke Achse, die Idee; der Jäger und der Häuptling bilden die rechte Achse, das Tun. Jede Achse beinhaltet Möglichkeiten, die für die andere unerreichbar sind; jede Achse ist ohne die andere wertlos, zusammen aber bilden sie eine stabile Gemeinschaft, in der alle F ä higkeiten ausbalanciert sind. Von diesem Punkt aus en t wickelte der Autor die letzte Metapher, den Aufstieg vom Stamm zur Nation: Aus dem Häuptling wird der Staat, aus dem Jäger das Militär, aus dem Schamanen die Kirche und aus dem Clown die Kunst. Wir tragen diesen Makrokosmos in diesem Wagen mit uns: Timothy, unser Häuptling; Eli, unser Schamane; Oliver, unsere Schö n heit, unser Jäger. Und ich – der Clown. Und ich – der Clown.
10. KAPITEL
Oliver
Den Haken an der Sache hat Eli uns erst zuletzt mitg e teilt, nachdem wir schon alle Feuer und Flamme für diese Sache waren. Während er in seiner Übersetzung blätterte, die Stirn runzelte und nickte, gab er vor, Schwierigkeiten zu haben, die gesuchte Stelle zu finden. Aber man kann darauf wetten, daß er die ganze Zeit über wußte, wo sie zu suchen war. Dann las er uns vor:
„Das Neunte Mysterium besagt folgendes: Der Preis eines Lebens ist immer ein Leben. Wisset, Hochwohlg e borene, daß die Ewigkeit durch Auslöschung im Lot gehalten wird, und deshalb müssen wir Euch ersuchen, das geforderte Lot ohne Falschheit aufrechtzuerhalten. Zweien gestatten wir, in unsere Gemeinde aufgenommen zu werden. Aber zwei fallen der ewigen Dunkelheit a n heim. Da wir im Leben täglich sterben, sollen wir durch das Sterben ewig leben. Ist einer unter euch, der zugu n sten seiner Brüder in der Viererfigur auf die Unsterblic h keit verzichten will, so daß sie die Erkenntnis der Bede u tung der Selbstaufgabe erringen können? Und ist einer unter euch, den zu opfern seine Kameraden bereit sind, so daß sie die Erkenntnis der Bedeutung des Ausschlu s ses erfassen können? Laßt die Opfer sich selbst erwählen. Laßt sie den Wert ihres Lebens nach dem Wert ihres A b gangs erwägen.“
Seltsames Zeugs. Stundenlang grübelten wir und machten Witze darüber. Ned erprobte seine ganze jesuit i sche Bildung daran. Und trotzdem konnten wir nur einen Schluß daraus ziehen, den am wenigsten schönen, den, der auf der Hand lag. Einer mußte freiwillig Selbstmord begehen. Zwei der verbliebenen drei mußten den dritten ermorden. Das sind die Bedingungen dieses Handels. Ob sie ernst gemeint sind? Vielleicht haben sie nur eine met a phorische Bedeutung, sollen nur symbolisch verstanden werden. Statt wirklicher Tode muß vielleicht einer nur freiwillig das Ritual abbrechen und als Sterblicher fortg e hen. Und dann müssen zwei von den anderen sich gegen den dritten zusammentun und ihn zwingen, den Altar zu verlassen. Ob das die Lösung war? Eli glaubt, daß die Tode wörtlich zu nehmen sind. Natürlich, denn Eli ist sehr leichtgläubig gegenüber diesem Mystizismus. Er begegnet allem Irrationalen im Leben außerordentlich ernst und scheint sich um das Rationale überhaupt nicht zu kümmern. Ned, der überhaupt nichts ernst nimmt, stimmt da mit Eli überein. Ich glaube nicht, daß er dem Buch der Schädel allzuviel Glauben schenkt, doch sieht seine Stellung so aus: Falls etwas Wahres an der Sache ist, dann muß das Neunte Mysterium als Forderung nach zwei Toden interpretiert werden. Timothy nimmt zwar auch überhaupt nichts ernst, aber seine Art, der Welt ins Gesicht zu lachen, weicht vö l
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