Bruderschaft der Unsterblichen
patriarchalische, schulmeisterliche Rolle nicht paßt, die er letzte Nacht spielen mußte, und er nimmt es uns übel, daß wir ihn dazu gezwungen haben. (Er ist sicher davon überzeugt, daß wir ihn aus einer Laune heraus dazu gebracht haben.) Außerdem glaube ich, daß er sich unterschwellig über mich ärgert, weil ich meine Gunst der traurigen, viehischen Mary geschenkt habe; homosexuell ist homosexuell, heißt es in Timothys Glaubensbekenntnis, und er glaubt, vielleicht gar nicht zu Unrecht, daß ich die Heteros nur verhöhnen will, wenn ich mit einem häßlichen Mädchen herummache.
Und Oliver ist noch schweigsamer als gewöhnlich. Vermutlich hält er uns für frivol und verabscheut uns deswegen. Armer, zielbewußter Oliver! Ein Selfmad e man, wie er uns hin und wieder durch eine eher stil l schweigende als ausdrückliche Mißbilligung unserer Vorlieben in Erinnerung bringt – eine lincolneske Figur, die sich dessen bewußt ist, einer, der sich selber aus den Kornfeldweiten von Kansas befreit hat, um den erhab e nen Status eines Medizinstudenten zu erreichen, an e i nem traditionsverkrusteten College, wie es sie nur noch ein- oder zweimal im ganzen Lande gibt. Und aus i r gendeiner Laune des Schicksals heraus hat er sich selbst in einem Apartment und zu einer Bestimmung mit fo l genden Leuten wiedergefunden: (1) einem poetischen Lustknaben, (2) einem Mitglied der reichen Müßiggä n gerschicht, (3) einem neurotischen jüdischen Scholast i ker. Während Oliver sein Leben der Lebenshaltung nach den Riten des Äskulap gewidmet hat, bin ich damit z u frieden, zeitgenössisch Unverständliches hinzukritzeln, ist Eli damit ausreichend beschäftigt, alte und vergessene Unverständlichkeiten zu übersetzen und zu erläutern, und Timothy reicht es, Kassenzettel zu sammeln und Polo zu spielen. Du allein, Oliver, hast eine soziale Aufgabe, du, der du dich dafür entschieden hast, die Menschheit zu heilen. Ha! Was, wenn Elis Tempel wirklich existiert und wir das erhalten, was wir suchen? Was wird dann aus deiner Heilkunst, Oliver? Warum ein Arzt werden, wenn der große Schamane dich unsterblich machen kann? Ja, dann! Auf Wiedersehen! Fort mit Olivers Bestimmung!
Wir befinden uns jetzt in West-Pennsylvania oder i r gendwo östlich vom Ohio, ich habe vergessen, wo genau. Unser Ziel für heute abend ist Chikago. Die Meilen ti c ken vorbei, ein Gebührenhäuschen sieht aus wie das a n dere. Wir werden von armseligen winterlichen Hügeln flankiert. Eine blasse Sonne. Ein bleicher Himmel. Gel e gentlich eine Tankstelle, ein Restaurant, ein Hinweis auf eine verfallene, seelenlose Stadt hinter den Wäldern. Zwei schweigsame Stunden lang fuhr Oliver und gab dann Timothy die Schlüssel; Timothy fuhr eine halbe Stunde, langweilte sich und bat mich zu fahren. Ich bin der Richard-Nixon-Charakter in diesem Wagen – abg e spannt, übereifrig, anmaßend, immerzu falsch einschä t zend und sich entschuldigend, einfach unglaublich i n kompetent. Trotz dieser Handicaps seines Charakters wurde Nixon Präsident; trotz meiner Schwächen in pun c to Konzentration und Aufmerksamkeit habe ich meinen Führerschein gemacht. Eli vertritt die Anschauung, daß alle amerikanischen Männer in zwei Rubriken eingeteilt werden können: die, die fahren können, und die, die nicht fahren können! Die ersteren sind dazu da, sich for t zupflanzen und die Handarbeit zu erledigen, die letzteren verkörpern die wahren großen Geister unserer Rasse. Er sieht mich als Verräter meiner Klasse an, weil ich weiß, welchen Fuß ich auf die Bremse stellen muß und we l chen aufs Gaspedal. Aber ich glaube, daß er nach der Erfahrung von einer Stunde Fahrt mit mir seine harte Meinung über mich überdacht hat. Ich bin kein Fahrer, ich trage in dieser Beziehung nur eine Maske. Timothys Lincoln Continental kommt mir vor wie ein Omnibus. Ich steuere nicht aus, der Wagen schwankt. Gib mir e i nen VW, und ich zeige, was ich kann. Oliver, der nie ein guter Mitfahrer ist, verlor schließlich seine Geduld und erklärte mir, er werde sich wieder ans Steuer setzen. Da sitzt er nun, unser Eiserner Gustav, und treibt uns une r müdlich in Richtung Sonnenuntergang weiter.
In einem Buch, das ich kürzlich las, wurde anhand e i nes ethnographischen Films über afrikanische Busc h männer, die eine Giraffe erlegen wollten, die Struktur der Gesellschaft in einer Metapher dargestellt. Sie hatten e i nes der großen Tiere bereits mit ihren vergifteten Pfeilen verwundet. Und jetzt
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