Bruderschaft der Unsterblichen
funkelnagelneuen Fünfziger. Neds Mutter starrt ungläubig auf die Rechnung. Die Steinfelds starren meinen Vater böse an und glauben, er wolle sie heruntermachen. Eine einzige wunderbare Ep i sode, dieser ganze Mittag. Später zieht Saybrook mich beiseite und sagt: „Dein Vater ist sehr verlegen. Hätte er gewußt, daß Eli, nun, äh, sich zu anderen Jungen hing e zogen fühlt, hätte er diese Bemerkung nie gemacht.“
„Nicht Eli“, sagte ich. „Eli ist normal. Es ist Ned.“
Saybrook ist aufgeregt. Sie glaubt, ich wolle sie auf den Arm nehmen. Sie möchte sagen, daß sie und mein Vater hoffen, ich ficke nicht mit einem von ihnen herum, egal wer nun der Schwule ist, aber sie ist viel zu gut e r zogen, um so etwas zu sagen. Statt dessen wechselt sie in den folgenden drei Minuten auf Small-talk um, eist sich vorsichtig los und geht zu meinem Vater zurück, um ihm von der neuesten Verwicklung zu berichten. Ich beobac h te, wie die Steinfelds aufgebracht auf Eli einreden; zwe i fellos machen sie ihm die Hölle heiß, weil er mit so e i nem gemeinen Lustmolch zusammenwohnt, und warnen ihn eindringlich, diesem Faigele fernzubleiben, wenn es nicht bereits (oy! weh!) zu spät ist. Nicht weit davon en t fernt kommt es auch zwischen Ned und seiner Mutter zum Generationskonflikt. Ich bekomme vereinzelte Sat z fetzen mit: „Die Schwestern beten für dich … wende dich dem heiligen Kreuz zu … Novena … Rosenkranz … dein Vater bei den Engeln … Novize … Jesuit … Jesuit … Jesuit …“ Auf der anderen Seite sitzt Oliver allein. Be o bachtet. Lächelt sein venusisches Lächeln. Er ist nur zu Besuch auf der Erde, das ist Oliver, der Mann aus der Fliegenden Untertasse.
Ich schätze Oliver als den tiefsinnigsten unserer Gru p pe ein. Er weiß zwar nicht so viel wie Eli und macht auch nicht so einen scharfsinnigen Eindruck, aber er besitzt den mächtigeren Intellekt, da bin ich mir ganz sicher. Er ist außerdem der fremdartigste von uns, denn an der Oberfläche wirkt er so gesund und normal, was er aber in Wahrheit gar nicht ist. Eli hat von uns den gewitztesten Verstand, und er ist außerdem jener, der am meisten le i det, ständig in Schwierigkeiten steckt. Ned stellt sich als unser Schwächling dar, unsere zerbrechliche Elfe, aber man darf ihn nicht unterschätzen: Er weiß die ganze Zeit über, was er will, und er sorgt dafür, daß er es auch b e kommt. Und ich? Was läßt sich über mich sagen? Gutes altes Joe-College. Die richtigen Familienbeziehungen, die richtigen Verbindungen, die richtigen Clubs. Im Juni werde ich einen Grad erlangen und dann ein glückliches Leben bis ans Ende meiner Tage führen. Zur Air Force gehen, ja, aber kein Kampfkommando annehmen – es ist alles schon arrangiert, unsere Gene sind zu wertvoll, um verschwendet zu werden –, dann finde ich eine passende anglikanische Debütantin mit garantierter Jungfräulic h keit, Angehörige der oberen Zehntausend, und dann we r de ich mich niederlassen und den Gentleman spielen. Herr im Himmel! Dem Himmel sei Dank, daß Elis Buch der Schädel nichts anderes als abergläubischer Scheiß ist. Wenn ich ewig leben müßte, hätte ich mich nach zwanzig Jahren zu Tode gelangweilt.
15. KAPITEL
Oliver
Im Alter von sechzehn Jahren habe ich sehr oft an Selbstmord gedacht. Ganz ernsthaft. Es war keine Show, um mich interessant zu machen, kein romantisches Dr a ma eines Heranwachsenden, kein Ausdruck dessen, was Eli eine willig-wollende Persönlichkeit nennen würde. Vielmehr war es eine ursächlich philosophische Position, falls ich hier einen so protzigen Begriff benutzen darf, die ich nach logischer und genauer Überlegung erreichte.
Was mich jedoch vor allem zum Selbstmordvorhaben führte, war der Tod meines Vaters im Alter von sech s unddreißig Jahren. Diese Tragödie blieb unfaßbar für mich. Natürlich war mein Vater keine besondere Spezies Mensch, ausgenommen für mich. Er war eben nur ein Farmer in Kansas. Um fünf Uhr morgens stand er auf, um einundzwanzig Uhr ging er zu Bett. Und über eine besondere Bildung verfügte er auch nicht. Er las lediglich die Lokalpresse und manchmal in der Bibel, obwohl ihm da vieles zu hoch war. Aber sein ganzes kurzes Leben hat er hart gearbeitet. Er war ein guter Mensch, ein Mann mit einer Aufgabe. Sein Vater hatte zuerst auf diesem Stück Land gearbeitet, und mein Vater arbeitete darauf, seit er zehn Jahre alt geworden war, abgesehen von ein paar Jahren, die er bei der Armee verbrachte; er holte die
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