Bruderschaft der Unsterblichen
Er n te ein, zahlte die Schulden ab, brachte es mehr oder w e niger zu einem gesicherten Auskommen, er schaffte es auch, seinem Besitz weitere vierzig Morgen Land hinz u zufügen, und dachte sogar daran, noch weiter zu expa n dieren. Zwischenzeitlich heiratete er, war ein guter Eh e mann und zeugte Kinder. Er war kein aufgeschlossener Mensch – er hätte nichts von dem verstanden, was sich in diesem Land in den zehn Jahren seit seinem Tod alles getan hat –, aber er war auf seine Weise ehrbar und hat sich sicher das Recht auf einen zufriedenen Lebensabend erworben: auf der Veranda zu sitzen, seine Pfeife zu ra u chen, im Herbst auf die Jagd zu gehen und den Söhnen die knochenbrechende Arbeit zu überlassen, während er das Wachstum seiner Enkel verfolgt. Aber er bekam ke i nen zufriedenen Lebensabend. Er kam noch nicht einmal in die mittleren Jahre. Krebs keimte in seinem Bauch, und er starb schnell; er starb unter Schmerzen, aber er starb schnell.
Das ließ meinen Gedanken keine Ruhe. Wenn es so leicht ist zu sterben, wenn man täglich mit der Befürc h tung leben muß, daß der Tod eintritt, und nie genau weiß, wann es soweit sein wird – lohnt sich dann das Leben überhaupt? Warum dem Tod das Vergnügen machen, einen holen zu können, wenn man am wenigsten auf das eigene Sterben gefaßt ist? Am besten verschwindet man von selbst, und zwar so früh wie möglich, um der Ironie zu entgehen, daß man als Strafe dafür hinweggerafft wird, daß man aus seinem Leben etwas gemacht hat.
Das Lebensziel meines Vaters war, so wie ich ihn ve r standen habe, ein gottesfürchtiges Leben zu führen und die Pacht auf seinem Land abzubezahlen. Ersteres ist ihm gelungen und dem zweiten kam er ziemlich nahe. Mein Ziel war weitaus ambitiöser: eine gute Ausbildung zu bekommen, raus aus dem Staub der Ackerflächen, Arzt, Wissenschaftler zu werden. Hört sich das nicht großartig an? Den Nobelpreis in Medizin erhält Dr. Oliver Mar s hall, der der Kautabak-Ignoranz des Kornlands entwac h sen und zu einer Inspiration für uns alle geworden ist. Aber worin unterschied sich mein Ziel von dem meines Vaters, außer in der Abstufung? Nüchtern betrachtet, e r wartete uns beide ein Leben voll harter Arbeit und A b plackerei.
Es war mir unerträglich: Geld beiseite legen, Prüfu n gen machen, ein Stipendium beantragen, Latein, Deutsch, Anatomie, Physik, Chemie und Biologie lernen, sich den Kopf mit Problemen zu zerbrechen, die größer waren als alles, was mein Vater kennengelernt hat – und dann ei n fach sterben? Mit fünfundvierzig Jahren sterben oder mit fünfundfünfzig oder mit fünfundsechzig oder vielleicht wie mein Vater mit sechsunddreißig? Gerade wenn man anf ä ngt, sein Leben zu leben, muß man sich schon wi e der daraus verabschieden. Warum soll man überhaupt diese Anstrengung auf sich nehmen? Warum sich dieser Ironie ausliefern? Man denke nur an Präsident Kennedy: All die Energie und Geschicklichkeit, die er aufbrachte, um ins Weiße Haus einzuziehen – und dann eine Kugel in den Kopf. Das Leben ist nur Verschwendung. Je mehr Erfolg man dabei hat, etwas aus sich zu machen, um so bitterer wird dann der Umstand, sterben zu müssen. Ich mit meinen Ambitionen, meinem inneren Drang, ich b e reitete mich nur auf einen tieferen Fall vor als die me i sten anderen. Im Bewußtsein dessen, daß ich ja sowieso irgendwann sterben mußte, entschloß ich mich, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen und mich selbst umzubri n gen, bevor ich schon zu tief in diesem miesen, unau s weichlichen Scherz steckte, der mich erwartete.
Das redete ich mir mit sechzehn Jahren ein. Ich ferti g te Auflistungen von in Frage kommenden Todesarten an. Die Pulsadern aufschneiden? Den Gashahn aufdrehen? Eine Plastiktüte über den Kopf stülpen? Ein Verkehrsu n fall mit einem Auto? Dünnes Eis im Januar? Ich hatte fünfzig verschiedene Arten zusammen. Ich ordnete sie in einer Hitparade an. Ich gruppierte sie wieder um. Ich wog den kurzen, schmerzvollen Tod gegen den langs a men, schmerzlosen ab. Ungefähr ein halbes Jahr lang studierte ich den Selbstmord so intensiv, wie Eli unr e gelmäßige Verben lernt. Zwei von meinen Großeltern starben in diesen sechs Monaten. Mein Hund starb. Mein älterer Bruder fiel im Krieg. Meine Mutter hatte ihren ersten schlimmen Herzanfall, der Arzt erklärte mir ve r traulich, daß sie kaum noch ein Jahr vor sich habe, und er behielt recht. Alles dies hätte meine Entscheidung nur noch bestärken sollen: Mach Schluß,
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