Bruderschaft der Unsterblichen
jemand anderen handelte: eine Spur größer, die Schulter eine Idee enger zusammen, die Haut um einen Ton heller, aber ansonsten die gleiche untersetzte, derbe, pseudopicassoide Gestalt. Mit einer seltsam ruhigen Stimme sagte er: „Ich bin Br u der Bernard. Bitte folgen Sie mir.“
Der Gang schien sich noch auszuweiten, während wir ihn durchquerten. Wir liefen immer weiter, Bruder Be r nard an der Spitze, meine Augen starrten die meiste Zeit wie gebannt auf seine merkwürdig hervortretende Wi r belsäule. Mit nackten Füßen auf dem glatten Steinboden, ein angenehmes Gefühl. Geheimnisvolle Türen aus wer t vollem Holz verschlossen zu beiden Seiten des Gangs: Zimmer, Zimmer, Zimmer, Zimmer. Millionenwerte an grotesken mexikanischen Artefakten hingen an den Wänden. Alle Götter des Alptraums starrten eulenhaft auf mich herab. Man hatte das Licht eingeschaltet, und ein sanfter gelber Glanz strömte von weitstrahlenden, schädelförmigen Leuchtern, wiederum der Hang zum Melodramatischen. Als wir uns dem Vorderteil des G e bäudes näherten, dem U-Bogen, warf ich einen Blick über Bruder Bernards rechte Schulter und bemerkte zu meiner Verwunderung kurz eine unzweifelhaft weibliche Gestalt, etwa zehn bis fünfzehn Meter vor mir. Ich sah, wie sie aus der letzten Tür dieses Schlafkammerflügels schritt, ohne Eile überquerte sie meinen Weg – sie schien zu schweben und verschwand zum Hauptteil des Gebä u des hin: eine kleine, schlanke Frau, die eine Art Min i kleid mit Trägern trug, das kaum die Hüften bedeckte, aus einem weichen, plissierten, weißen Material. Ihr Haar war dunkel und glänzend, südländisches Haar, und hing locker bis zu ihren Schultern herab. Ihre Haut war tief gebräunt und bot damit einen starken Kontrast zu ihrem weißen Kleid. Ihre Brüste schoben sich groß heraus; mir blieb kein Zweifel über ihr Geschlecht. Ihr Gesicht kon n te ich nicht deutlich erkennen. Mich überraschte, daß es im Schädelhaus sowohl Schwestern als auch Brüder gab, aber vielleicht war sie nur ein Dienstmädchen, denn der Ort mußte ja peinlich sauber gehalten werden. Ich wußte, daß es keinen Zweck hatte, Bruder Bernard danach zu fragen; er hüllte sich in Schweigen wie andere Leute in einen Panzer.
Er geleitete mich in einen großen Raum, der zerem o niellen Zwecken diente, offensichtlich war es aber nicht derselbe, in dem Bruder Antony uns begrüßt hatte, denn ich entdeckte kein Anzeichen für eine Falltür, die zum Tunnel führte. Auch der Springbrunnen hier schien eine andere Form zu haben: höher, eher eine Tulpenform, o b wohl die Figur, durch die das Wasser floß, der im and e ren Raum sehr ähnelte. Durch das halboffene Dach sah ich den schrägen Lichteinfall des späten Nachmittags. Die Luft war heiß, aber nicht so stickig wie zuvor.
Ned, Oliver und Timothy hatten sich bereits eingefu n den, jeder von ihnen mit Shorts bekleidet, alle drei wirkten angespannt und unsicher. Oliver hatte den ihm eigentü m lichen starren Gesichtsausdruck, den er in großen Streßs i tuationen immer zeigt. Timothy bemühte sich blasiert zu wirken, scheiterte aber dabei. Ned blinzelte mir kurz und abrupt zu, vielleicht als Glückwunsch, vielleicht spöttisch.
Ungefähr ein Dutzend Brüder befanden sich ebenfalls in diesem Raum.
Sie schienen alle aus der gleichen Vorlage gestanzt: Wenn sie schon nicht im wörtlichen Sinn Brüder waren, so mußten sie doch zumindest Vettern sein. Keiner von ihnen war größer als ein Meter siebzig, manche sogar nur ein Meter sechzig oder noch kleiner. Alle kahl. Tonne n brust. Tiefgebräunt. Haltbar aussehend. Nackt bis auf diese Shorts. Einer, den ich als Bruder Antony zu erke n nen glaubte – er war es auch –, trug einen kleinen grünen Anhänger auf der Brust; drei von den anderen trugen ähnliche Anhänger, aber aus einem dunklen Stein, vie l leicht Onyx. Die Frau, die mir unterwegs begegnet war, befand sich nicht in diesem Raum.
Bruder Antony wies mich an, mich zu meinen Gefäh r ten zu begeben. Ich stellte mich direkt neben Ned. Schweigen. Anspannung. Ein plötzlicher Impuls, laut loszulachen, den ich mit Mühe unterdrücken konnte. Welch eine absurde Situation! Wie kamen sich diese wichtigtuerischen Männlein eigentlich vor? Mit diesem leeren Gehabe um Totenschädel, mit diesem Ritual der Gegenüberstellung? Ruhig studierte uns Bruder Antony, als richte er über uns. Kein anderes Geräusch als unser Atemholen und das gefällige Geplätscher des Sprin g brunnens. Etwas ernste Musik
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