Bruderschaft der Unsterblichen
Form eines T o tenschädels hat, und legt ihn vor uns auf den Boden, als Fokus für unsere Meditationen. Als Oberbruder ist Br u der Antony der einzige, der einen Jadeanhänger trägt. Aber auch Bruder Miklos, Bruder Javier und Bruder Franz sind berechtigt, ähnliche Anhänger aus poliertem braunem Stein zu tragen – ich tippe auf Obsidian oder Onyx. Diese vier sind die Hüter der Schädel, eine beso n dere Gruppe innerhalb der Bruderschaft. Was Bruder Antony von uns anzuschauen verlangt, ist paradox, den Schädel unter dem Gesicht, die Gegenwart des Tode s symbols unter unseren lebenden Masken. Durch eine Übung in „innerer Vision“ sollen wir uns vom Todesi m puls befreien, indem wir die Macht des Totenschädels absorbieren, ganz verstehen und schließlich endgültig zerstören. Ich weiß nicht, inwieweit einer von uns in di e sem Bemühen bereits Erfolg hatte; was uns sonst noch verboten ist, ist der Vergleich unserer Fortschritte. Ich bezweifle, daß Timothy in Meditation sehr gut ist. Oliver ist ganz offensichtlich gut; er starrt auf den Jade-Totenschädel mit der Intensität eines Wahnsinnigen, überströmt ihn, umzingelt ihn, und ich glaube, sein Geist tritt hervor und in den Schädel ein. Aber bewegt er sich in die richtige Richtung? Eli hat sich vor einiger Zeit bei mir darüber beklagt, welche Schwierigkeiten er hat, mi t tels Drogen die höchsten Grade mystischer Erfahrung zu erreichen; sein Verstand ist zu lebendig, zu sprunghaft und hat mehrere Trips selbst zunichte gemacht, da er hin und her stieß, anstatt sich zu beruhigen und ins All tre i ben zu lassen. Ich glaube, er hat auch hier draußen Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Er wirkt ang e spannt und ungeduldig während unserer Meditationssi t zungen, er scheint sich mit Gewalt dazu zu zwingen, d a zu treiben zu wollen, in einen Bereich zu gelangen, den er eigentlich nicht erreichen kann. Was mich betrifft, so genieße ich unsere tägliche Stunde mit Bruder Antony; das Paradoxon mit dem Totenschädel korrespondiert n a türlich gerade mit meiner Vorliebe für Irrationalität, und ich glaube, es bereitet mir wirkliches Vergnügen, obwohl ich mir natürlich der Möglichkeit bewußt bin, daß ich mich lediglich selbst betrüge. Ich würde gern den Grad meiner Fortschritte, soweit vorhanden, mit Bruder Ant o ny diskutieren, aber solche selbstsüchtigen Anfragen sind uns momentan nicht erlaubt. Somit knie ich nieder und starre jeden Tag auf den kleinen grünen Schädel und treibe meine Seele voran und führe meinen immerwä h renden inneren Kampf zwischen angerostetem Zynismus und unterwürfigem Glauben.
Sobald unsere Stunde mit Bruder Antony beendet ist, gehen wir wieder auf die Felder. Wir rupfen Unkraut, streuen Düngemittel aus – natürlich nur organischen Dung – und setzen Keimlinge ein. Oliver ist hierbei der Beste von uns. Er hat immer versucht, seine Farmkin d heit zu verdrängen, aber jetzt, ganz plötzlich, prahlt er damit, genauso wie Eli mit seinem jiddischen Vokabular prahlt, obwohl er seit seiner Bar Mitzwah nicht mehr in einer Synagoge gewesen ist. Das Meine-Abstammung-ist-besser-als-deine-Syndrom und Olivers Abstammung ist die ländlich-landwirtschaftliche. Deshalb erledigt er das Hacken und Graben mit vorbildlichem Schwung. Die Brüder versuchen, ihn zur Mäßigung anzuhalten; ich glaube, seine Energie erschreckt sie, aber gleichzeitig machen sie sich auch darüber Sorgen, er könne einen Hitzschlag bekommen; Bruder Leon, der Arztbruder, hat mehrere Male mit Oliver darüber gesprochen und ihm erklärt, daß die Vormittagstemperaturen schon zwischen dreißig und fünfunddreißig Grad lägen und im weiteren Tagesverlauf noch höher stiegen. Trotzdem rackert sich Oliver immer weiter ab. Ich halte dieses ganze Heru m machen im Boden für seltsam und kaum nachvollziehbar. Es entspricht dieser Zurück-zur-Natur-Romantik, die, wie ich glaube, im Herzen von allen intellektuellen Nur-Stadtmenschen bohrt. Vorher habe ich keine anstrenge n dere manuelle Tätigkeit ausgeübt als die Masturbation . Somit ist die tägliche Feldarbeit nicht nur zermürbend, sondern auch etwas, das über meine Vorstellung geht, aber ich zwinge mich verbissen durch meine Arbeit. Das steht schon mal fest. Elis Beziehung zur Farmarbeit ä h nelt der meinen stark, aber er geht da intensiver, romant i scher heran; er redet davon, daß er dadurch physische Erneuerung von Mutter Erde erlange. Und Timothy, der natürlich mit seinen eigenen Händen noch nie mehr
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