Bruderschaft der Unsterblichen
etwas vor. Von Tag zu Tag erhält er mehr Kraft, nicht nur muskelmäßig nimmt er zu, er scheint auch an moralischer Stärke zu gewinnen, an Inbrunst, an Dynamik: Er hat sich dieser Sache verschrieben und läßt jeden wissen, daß er ni e mandem erlauben wird, sich zwischen ihn und sein Ziel zu stellen. Für Eli ist das eine ganz neue Haltung. Manchmal glaube ich, er entwickelt sich zu einer Art Oliver – eine schmächtige, dunkle, behaarte, jiddische Ausgabe von Oliver. Oliver selbst natürlich hält seinen Mund geschlossen und arbeitet im Haushalt für zehn, und bei den körperlichen Übungen verbiegt er sich zu einer Brezel, bloß um den Bruder auszustechen. Sogar Ned scheint sich dem Glauben zuzuwenden. Von ihm ko m men keine spitzen Bemerkungen mehr, keine kleinen, zynischen Bonmots. Morgens sitzen wir da und hören Bruder Miklos zu, wie er viel Garn senilen Gebabbels spinnt, bei dem höchstens ein Satz von sechsen einen Sinn ergibt. Und Ned sitzt da wie ein Sechsjähriger, dem man vom Weihnachtsmann erzählt, sein Gesicht ist vor Aufregung verzerrt, er schwitzt, kaut an den Nägeln, nickt und schluckt alles. Weiter so, Bruder Miklos! A t lantis, jawohl, und der Cro-Magnon-Mensch , na klar doch, und die Azteken, und was sonst noch kreucht und fleucht, Klatschmarsch bitte, jawohl, ich glaube alles. Und dann sitzen wir am Mittagstisch, und dann mediti e ren wir auf dem kalten Steinboden, jeder für sich natü r lich, und dann gehen wir nach draußen und schwitzen uns für die Brüder auf den verdammten Feldern ab. Schluß damit, ich hab’ die Schnauze voll davon. Heute habe ich meine Chance verpaßt, aber in ein oder zwei Tagen werde ich noch einmal zu Eli gehen und vers u chen, ob ich ihn nicht zur Vernunft bringen kann. Aber viel Hoffnung habe ich dabei nicht.
Eli erschreckt mich neuerdings ein wenig.
Ich wünschte mir, er hätte diese Bemerkung nicht g e macht, von wegen, wovor ich mehr Angst hätte: dem Neunten Mysterium oder dem ewigen Leben. Ich wünschte mir wirklich, er hätte diese Bemerkung mir gegenüber unterlassen.
30. KAPITEL
Oliver
Ein kleines Mißgeschick, während wir vor dem Frü h stück auf den Feldern arbeiteten. Ich lief zwischen zwei Reihen von Chilipflanzen und trat mit dem nackten Fuß auf einen scharfen Stein, der sich irgendwie bis an die Oberfläche vorgearbeitet hatte und jetzt mit dem scharfen Ende nach oben herausragte. Ich fühlte, wie der Stein mir die Sohle durchzuschneiden begann, und ich verlagerte blitzartig mein Gewicht; zu blitzartig. Mein anderer Fuß war auf die zusätzliche Belastung nicht vorbereitet. Der rechte Knöchel knickte ab. Mir blieb nichts anderes ü b rig, als mich hinfallen zu lassen, so wie man es beim Basketball beigebracht bekommt, wenn man auf dem Feld übel hereingelegt worden ist und sich schnell en t scheiden muß, ob man sich hinfallen läßt oder sich eine Sehnenzerrung zuzieht. Und, hoppla, fiel ich hin, direkt auf den Arsch. Weh getan hatte ich mir eigentlich nicht, aber dieses Feld war in der vergangenen Nacht tüchtig bewässert worden und immer noch matschig. Ich landete in einer klebrigen, schlammigen Pfütze, und als ich mich wieder erhob, gab es ein schmatzendes Geräusch. Meine Shorts sahen furchtbar aus – das ganze Hinterteil bes u delt und naß. Nun, das ist ja an sich noch nichts Schli m mes, aber mir behagte die Berührung des feuchten Schmutzes nicht, der sich durch den Stoff auf meine Haut zuarbeitete. Bruder Franz kam zu mir, um nachzusehen, ob ich mich verletzt hatte, und ich erklärte ihm, daß mir nichts fehlte, abgesehen eben von der Sache mit meinen Shorts. Ich fragte, ob ich ins Haus gehen und mich u m ziehen sollte, aber er grinste nur, schüttelte den Kopf und erklärte mir, daß das nicht nötig sei. Ich bräuchte bloß die Shorts auszuziehen und an einen Ast zu hängen, die So n ne würde sie in einer halben Stunde getrocknet haben. Okay, warum nicht? Ich bin nicht darauf angewiesen, in Kleidern herumzulaufen, und mehr Ungestörtheit als hier draußen in der Mitte der Wüste konnte ich ja wohl kaum bekommen. Also entledigte ich mich der Shorts und hängte sie an einen Ast.
Die Sonne war erst vor zwanzig Minuten aufgega n gen, aber schon stieg sie rasch höher und schien immer heißer. Die Temperatur, die in der Nacht auf fünf bis zehn Grad gefallen war, stieg rasch über zwanzig Grad und noch höher auf dem Thermometer. Ich spürte die Wärme auf meiner nackten Haut, der Schweiß brach mir in Strömen aus, rann
Weitere Kostenlose Bücher