Bruderschaft der Unsterblichen
Sinn? Die Totenschädel an den Wänden geben mir keine An t wort. Das Lächeln der Brüder ist undurchdringlich. Wir diskutieren nicht untereinander. Während ich noch in meinem asketischen Zimmer herumlaufe, höre ich den paläolithischen Gong in meinem eigenen Kopf: klang, klang, klang, wart’s ab, wart’s ab. Und wie ein Dam o klesschwert hängt das Neunte Mysterium über uns.
29. KAPITEL
Timothy
An diesem Nachmittag beschloß ich, während wir bei über fünfunddreißig Grad Hitze Hühnerkacke in Fässer verluden, daß ich die Nase voll hatte. Der Witz hatte jetzt wirklich einen langen Bart. Und die Osterferien waren auch gerade zu Ende gegangen. Ich wollte raus. Natürlich hatte ich diesen Wunsch schon am ersten Tag hier g e habt, aber Eli zuliebe habe ich meine Gefühle unte r drückt. Jetzt konnte ich sie nicht länger zurückhalten. Ich entschied, daß ich vor dem Abendessen in der Ruhepause mit Eli darüber reden wollte.
Als wir von den Feldern zurückkehrten, nahm ich rasch mein Bad und machte mich zu Elis Zimmer auf. Er saß immer noch in der Wanne; ich hörte das Wasser ra u schen und ihn mit seiner tiefen, monotonen Stimme si n gen. Schließlich verließ er das Bad und rieb sich ab. Die hiesige Lebensart kam ihm zugute: Er wirkte kräft i ger und muskulöser. Eli warf mir einen frostigen Blick zu.
„Was willst du hier, Timothy?“
„Nur eine Stippvisite.“
„Jetzt ist Ruhepause. Die sollen wir allein verbringen.“
„Wir sollen immer allein sein“, sagte ich, „außer wenn wir mit ihnen zusammen sind. Nie läßt man uns die G e legenheit, privat miteinander zu reden.“
„Das ist schließlich ein Teil des Rituals.“
„Ein Teil des Spiels“, sagte ich. „Ein Teil des Schei ß spiels, das sie mit uns spielen. Sieh mal, Eli, du bist e i gentlich für mich so etwas wie ein Bruder. Es gibt ni e manden, der mir zu sagen hat, wann ich mit dir reden kann und wann nicht.“
„Mein Bruder, der Goy“, sagte er. Rasch setzte er ein Lächeln auf, das genauso schnell wieder verschwand.
„Wir hatten genug Zeit zum Reden. Jetzt stehen wir unter der Anweisung, uns voneinander fernzuhalten. Du gehst besser wieder, Timothy. Wirklich, du gehst besser, bevor die Brüder dich hier drin entdecken.“
„Wo sind wir denn hier, verdammt noch mal? Im G e fängnis?“
„In einem Kloster. Und ein Kloster hat feste Regeln. Dadurch, daß wir hierhergekommen sind, haben wir uns diesen Regeln unterworfen.“ Eli seufzte. „Willst du jetzt bitte gehen, Timothy?“
„Es sind ja gerade diese Regeln, über die ich mit dir reden will, Eli.“
„Ich habe sie nicht gemacht. Und ich kann keine für dich aufheben.“
„Laß mich doch ausreden“, sagte ich. „Du weißt, daß die Zeit nicht stehenbleibt, während wir uns hier als Fruchtb o den aufhalten. Man wird uns bald vermissen. Unsere Fam i lien werden entdecken, daß sie lange nichts mehr von uns gehört haben. Und jemand wird herausfinden, daß wir nach den Osterferien nicht aufs College zurückgekehrt sind.“
„Na und?“
„Wie lange sollen wir denn noch hier bleiben, Eli?“
„Bis wir das haben, was wir wollten.“
„Du glaubst an den ganzen Scheiß, den sie uns erzählt haben?“
„Hältst du immer noch alles für Quatsch, Timothy?“
„Ich habe hier weder etwas gehört noch gesehen, was meine Meinung ändern könnte.“
„Und die Brüder? Was meinst du, wie alt sie sind?“
Ich zuckte mit den Achseln. „Sechzig. Siebzig. Einige von Ihnen vielleicht sogar achtzig. Sie führen ein gesu n des Leben, viel frische Luft, körperliche Bewegung und sorgfältig ausgesuchte Nahrung. Damit halten sie sich in Form.“
„Ich glaube, daß Bruder Antony mindestens tausend Jahre alt ist“, sagte Eli. Sein Tonfall war kalt, aggressiv und bestimmt: Normalerweise hätte er mich damit zum Lachen gebracht, aber ich konnte es einfach nicht. „Vie l leicht ist er sogar noch älter“, fuhr Eli fort. „Das gleiche gilt für Bruder Miklos und Bruder Franz. Ich vermute, daß es nicht einen unter ihnen gibt, der jünger als hu n dertfünfzig Jahre ist.“
„Ist ja entzückend.“
„Was willst du, Timothy? Willst du raus?“
„Ich habe daran gedacht.“
„Allein oder mit uns?“
„Vorzugsweise mit euch. Wenn nötig, auch allein.“
„Oliver und ich werden nicht gehen, Timothy. Und ich glaube, Ned auch nicht.“
„Schätze, dann bin ich auf mich selbst angewiesen.“
„Soll das eine Drohung sein?“ fragte er.
„Es ist eine
Weitere Kostenlose Bücher