Bruderschaft der Unsterblichen
erklärt hat; sie haben etwas mit der Wiederherstellung der Beziehungen zum Universum der Phänomene zu tun, so daß sich bei einem der Makroko s mos innen und der Mikrokosmos draußen befindet, gla u be ich jedenfalls, aber ich hoffe, daß ich nähere Erläut e rungen darüber im Verlauf dieser Veranstaltungen b e komme. Außerdem gibt es eine ganze Menge esoter i schen Gequatsches, die Entwicklung des „inneren Atems“ betreffend, aber offensichtlich wird es für uns als nicht so dringlich angesehen, das jetzt schon zu verst e hen. Nun, wie dem auch sei, wir lassen uns nieder und bemühen uns energisch, den eigenen Körper durchzulü f ten, pumpen allen Unrat aus unseren Lungen und saugen gute, saubere, von den Geistern gebilligte Nachtluft ein; nach einer langen Periode des vollen Ein- und Ausatmens machen wir weiter mit Übungen zum Luftanhalten, die uns begeistern und schwindlig machen, bis wir zu b e fremdlichen Atemtransportmanövern kommen, durch die wir lernen sollen, unsere eingeatmete Luft zu allen mö g lichen Teilen unseres Körpers zu dirigieren, ganz ähnlich dem, was wir vorher mit dem Sonnenlicht gemacht h a ben. Das ist ganz schön anstrengend, aber die Durchlü f tung beschert einem ein Gefühl unbeschwerten Glücks: Unser Kopf fühlt sich ganz beschwingt an, wir werden optimistisch und versichern uns gegenseitig wie selbs t verständlich, daß wir auf dem richtigen Weg zum ewigen Leben sind. Vielleicht sind wir das auch, wenn Sauerstoff Leben und Kohlendioxid Tod bedeutet.
Sobald Bruder Bernard zu dem Schluß kommt, daß wir uns in ein Stadium der göttlichen Gnade geatmet h a ben, fangen wir mit dem Winden und Krümmen an. Di e se Übungen ändern sich jeden Abend, als verfüge der Bruder über ein unbegrenztes Repertoire, das sich über tausend Jahrhunderte entwickelt hat. Setzt euch mit üb e reinandergeschlagenen Beinen hin, die Hacken auf dem Boden, verhakt die Hände über dem Kopf und berührt mit den Ellenbogen fünfmal rasch den Boden. (Au!) B e rührt mit der linken Hand das linke Knie, hebt die rechte Hand über den Kopf und atmet zehnmal tief ein. Wiede r holt das Ganze mit der rechten Hand zum rechten Knie, linke Hand nach oben. Jetzt beide Hände hoch über den Kopf, schreit und laßt dabei den Kopf nach oben schne l len, bis ihr hinter geschlossenen Augen Sterne sehen könnt. Steht auf, legt die Hände an die Hüften, dreht euch heftig zur Seite, bis der Rumpf in einem Neunzig-Grad-Winkel gebogen ist, erst nach links, dann nach rechts. Steht auf einem Bein und hebt das Knie des anderen ans Kinn. Hüpft herum wie von der Tarantel gestochen. Und so weiter, noch viele Sachen, für die wir im Moment noch nicht gelenkig genug sind: Fuß um den Kopf wi c keln, Arme nach innen beugen, mit übereinandergeschl a genen Beinen aufstehen und wieder hinsetzen. Wir geben unser Bestes, was allerdings in Bruder Bernards Augen nie gut genug ist; wortlos gemahnt er uns durch die G e schmeidigkeit seiner eigenen Bewegung an das große Ziel, auf das wir zustreben. Ich bin darauf vorbereitet, daß wir eines Tages lernen, zum Gewinn des ewigen L e bens sei es absolut notwendig, die Kunst zu beherrschen, den eigenen Ellenbogen in den Mund zu stecken; wenn du das nicht kannst, ist das aber bitter, Junge, und du bist dazu verdammt, am Wegesrand zu vertrocknen.
Bruder Bernard läßt uns bis zum Rand der Erschö p fung schuften. Er selbst macht jede Übung mit, die er von uns verlangt, läßt keine einzige Biegung oder Beugung aus und zeigt bei seinen Verrenkungen keinerlei Übera n strengung. Unser Bester bei diesen Leibesübungen ist Oliver, unser schlechtester Eli; dennoch geht Eli mit e i nem erschreckenden plumpen Enthusiasmus an die S a che, den man nur noch bewundern kann.
Endlich werden wir entlassen, gewöhnlich liegen neunzig Minuten Anstrengung hinter uns. Für den Rest des Abends haben wir Freizeit, aber von dieser Freiheit machen wir keinen Gebrauch; zu diesem Zeitpunkt kö n nen wir nur noch ins Bett fallen, was wir auch tun, denn allzubald schon werden das Morgengrauen und Bruder Franz mit seinem herzlichen rat-tat-tat an die Tür ko m men. Deshalb wird jetzt zu Bett gegangen. Ich schlafe tief, so tief wie noch nie zuvor.
So läuft unsere tägliche Routine ab. Was hat das alles zu bedeuten? Verjüngen wir uns hier? Werden wir hier älter? Wird das leuchtende Versprechen des Schädelb u ches für einige von uns erfüllt werden? Ergibt irgend e t was von dem, was wir jeden Tag machen, einen
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