Bruderschaft der Unsterblichen
mich an, kotzte mich sein großes, fle i schiges Gesicht an, sein allzu kurz geschnittenes Haar, seine Arroganz, sein Geld, seine Vorfahren und seine Zweifel an allem, was über seinen Horizont ging. Ich war darum bemüht, meine Stimme unverbindlich und frostig klingen zu lassen, als ich sagte: „Hör mal, wenn es dir hier nicht paßt, dann zisch ab. Zisch einfach ab. Ich möchte nicht, daß du glaubst, jemand wolle dich hier festhalten. Geh einfach, wenn es das ist, was du willst. Und mach dir keine Gedanken über mich, über den Schwur und über den ganzen anderen Kram. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen.“
„Ich weiß ja selbst nicht, was ich will“, murrte er, und einen Moment lang verließ der finstere Blick sein G e sicht. Die Miene, die er jetzt aufzog, hätte ich am weni g sten von Timothy erwartet: ein Ausdruck von Verwirr t heit, von Verletzlichkeit. Die Miene verschwand wieder und machte wieder dem finsteren Blick Platz.
„Und noch etwas“, sagte er und hörte sich wieder a r rogant an, „warum, verdammt noch mal, muß ich jema n dem meine Geheimnisse erzählen?“
„Das mußt du nicht.“
„Bruder Javier hat es angeordnet.“
„Was kümmert es dich? Wenn du schon keinen Ärger haben willst, dann fang doch gar nicht erst damit an.“
„Es ist ein Teil des Rituals“, sagte Timothy.
„Aber du glaubst ja gar nicht an das Ritual. Überhaupt, Timothy, wenn du sowieso morgen von hier abhauen willst, brauchst du dich doch an nichts zu halten, was Bruder Javier sagt.“
„Hab’ ich gesagt, daß ich gehe?“
„Du hast gesagt, daß du das willst.“
„Ich sagte, ich hätte große Lust dazu. Ich habe nicht gesagt, ich werde gehen. Und das ist nicht dasselbe. Ich bin mir darüber eben noch nicht im klaren.“
„Bleib oder geh, wie es dir beliebt. Beichte oder laß es, wie es dir beliebt. Aber wenn du das nicht tun willst, wozu Bruder Javier dich hergeschickt hat, dann hätte ich es lieber, du würdest gehen und mich schlafen lassen.“
„Hetz mich nicht, Oliver. Drängle mich nicht. Ich kann mich nicht so schnell entscheiden, wie du das willst.“
„Du hast den ganzen Tag Zeit gehabt, dir zu überl e gen, ob du mir etwas erzählen willst oder nicht.“
Er nickte. Er beugte sich vor, bis sein Kopf zwischen den Knien hing, und blieb so eine sehr lange Zeit sitzen. Mein Ärger verpuffte. Ich konnte ja deutlich sehen, daß er in Schwierigkeiten steckte. Diesen Timothy hatte ich noch nie kennengelernt. Er wollte sich befreien, er wollte an dieser Schädelhaussache wirklich teilnehmen, aber auf der anderen Seite verachtete er hier alles so sehr, daß es ihm nicht gelingen wollte. Also ließ ich ihn in Ruhe und drängelte nicht. Ich ließ ihn nur dasitzen, und schließlich hob er den Kopf und sagte: „Wenn ich dir erzähle, was ich erzählen muß, welche Sicherheit habe ich dann, daß du es nicht weitererzählst?“
„Bruder Javier hat angeordnet, daß wir nichts vom Gehörten weitergeben dürfen.“
„Klar, aber wirst du auch den Mund halten können?“
„Hast du kein Vertrauen zu mir, Timothy?“
„In dieser Sache habe ich zu niemandem Vertrauen. Sie könnte mich zugrunde richten. Der Bruder hat nicht übertrieben, als er sagte, jeder von uns trüge etwas mit sich herum, daß er unter keinen Umständen herauslassen wolle. Ich hab’ viel Scheiß gebaut, natürlich, aber da gibt es eine derart beschissene Sache, daß sie mir fast heilig ist, eine Todsünde, so monströs ist die Sache. Jedermann würde mich verachten, wüßte er davon. Du wirst mich wahrscheinlich auch verachten.“
Sein Gesicht war angespannt und grau geworden. „Ich weiß nicht, ob ich wirklich darüber reden kann.“
„Dann tu es auch nicht.“
„Man erwartet von mir, daß ich damit herausrücke.“
„Nur, wenn du dich den Regeln des Buches der Sch ä del unterwirfst. Und das tust du ja nicht.“
„Wenn ich es aber wollte, müßte ich das tun, was Br u der Javier verlangt. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wir k lich nicht. Würdest du es wirklich nicht Eli oder Ned weitererzählen? Oder sonst jemandem?“
„Das werde ich wirklich nicht“, sagte ich.
„Ich wünschte, ich könnte das wirklich glauben.“
„Da kann ich dir nicht weiterhelfen, Timothy. Wie Eli sagt: Es gibt Dinge, an die mußt du einfach glauben.“
„Vielleicht können wir einen Handel machen“, sagte er schwitzend und mit verzweifelter Miene. „Ich werde dir meine Geschichte erzählen, und dann erzählst du mir deine.
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