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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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einem Regal und dem Tisch. Zwei Bilderrahmen waren umgefallen, und er stellte sie wieder auf. Von den Fotos lachten ihm diese Henny Langhoff, ein junges Mädchen und ein junger Mann entgegen. Alle trugen altmodische Kleidung.
    In dem Regal standen ein paar Bücher, deren Schutzumschläge an den Kanten eingerissen waren. Daneben lagen Schallplatten zu einem Stapel geschichtet. Auf dem Boden stand ein alter Plattenspieler.
    Jan schlug die Bettdecke zurück und sah an sich hinunter. Sie hatte ihm einen Schlafanzug angezogen, einen grünen mit schmalen weißen und gelben Streifen. Sein Blick fiel auf einen Stuhl neben dem Bett. Darauf lagen eine braune Cordhose und eine grüne Wolljacke mit braunen Hornknöpfen, obendrauf eine braune Mütze. Sein Rucksack lag umgekippt daneben. Vor dem Bett standen seine neuen Schnürstiefel.
    Hose, Jacke und Mütze gehörten ihm nicht. Er dachte einen Moment nach. Er war die Treppe hinuntergestürzt. Vielleicht war seine Kleidung dabei zerrissen.
    Er rutschte an die Bettkante und hüpfte herunter. Schmerz durchschoss seinen linken Fuß. Er schrie leise auf und ließ sich zurück aufs Bett fallen. Er zog das Hosenbein hoch. Sein Knöchel glänzte teils gelb, teils dunkel, und das Knie war geschwollen. Vorsichtig betastete er die Stellen, an der sich die Haut straff über den Schwellungen spannte.
    Er drehte den Fuß. Es schmerzte, aber es war auszuhalten. Wenn er vorsichtig war, würde er laufen können.
    Behutsam rutschte er vom Bett, humpelte hinüber zum Schrank und schaute hinein. Auf Bügeln hingen fremde Blusen, Röcke und eine dünne Sommerjacke. Der Geruch von Lavendel stieg ihm in die Nase. Zu Hause in den Schränken roch es genauso. Im Frühherbst füllte seine Mutter Lavendelblüten in kleine Säckchen und legte sie in den Kleiderschrank, um den Motten den Spaß zu verderben, wie sie ihm erklärt hatte.
    Er drehte sich um und musterte den Raum. Erst jetzt bemerkte er, dass vor dem Fenster ein dunkler Vorhang hing. Er ging hinüber, schob ihn zur Seite und spähte hinaus. Zwischen den hohen Tannen fiel der Schnee noch immer aus einem grauen, schweren Himmel.
    Jan sah auf die Uhr. Es war halb vier. Um zwei hätte er Pauline aus dem Kindergarten abholen sollen. Sie würde tagelang schmollen, weil er sie vergessen hatte, und selbst wenn er es ihr erklärte, würde sie es nicht verstehen. Um sechs würden Pauline und Lauren zusammen essen. Wenn er bis dahin nicht zu Hause wäre, würden sie sich Sorgen machen. Seine Schwester würde seine Mutter mit Fragen löchern, selbst wenn seine Mutter ihr sagte, sie solle mal fünf Minuten still sein. Wenn sich Pauline aufregte, konnte sie nicht still sein.
    Noch einmal betrachtete er die Sachen, die über dem Stuhl hingen, und entschied, sie anzuziehen. Er würde sie später zurückgeben, doch jetzt brauchte er sie.
    Er zog den Schlafanzug aus, nahm die Hose vom Stuhl und stieg vorsichtig hinein. Die Hose war zu lang, und er musste sie unten umschlagen. Als er sich bückte, glaubte er, sein Kopf explodiere. Er schlüpfte in die Stiefel und band sie zu.
    Er dachte an die fremde Frau, die in der Scheune gelegen hatte. Ob sie wohl auch solche Kopfschmerzen hatte, nachdem sie gestürzt war?
    Umständlich zog er die Mütze über dem Verband zurecht, nahm die Jacke und seinen Rucksack und schlich über die Holzdielen zur Tür. Er drehte den Knauf und zog sie behutsam auf, bereit, beim ersten Quietschen sofort wieder zum Bett zu spurten.
    Doch nichts geschah.
    Sobald der Spalt breit genug war, schlüpfte er hindurch. Der Flur war hell erleuchtet, und unter seinen Füßen lag ein dicker Läufer, der bis zu einer Treppe führte. Im Flur roch es nach Braten und Bohnerwachs.
    Er schlich humpelnd bis zur Treppe und spähte über das Geländer. Blank polierte Holzstufen führten hinunter in einen Flur. Er stand mucksmäuschenstill und lauschte angestrengt, den Kopf schiefgelegt. Er schmerzte und dröhnte bei jeder Bewegung.
    Als er nichts anderes hörte als das Dröhnen in seinem Kopf, zog er die fremde Jacke über, setzte den Rucksack auf und zog die Nylonriemen stramm, damit er fest auf seinem Rücken saß. Mit einer Hand stützte er sich am Geländer ab und stieg leise die Stufen hinunter.
    Schritte näherten sich von draußen.
    Jan erstarrte.
    Schlüssel rasselten, dann hörte er, wie einer ins Schloss gesteckt wurde.
    Er wartete nicht länger, sondern humpelte hastig die Treppe nach oben, den Korridor entlang und in das Zimmer zurück. Bei jedem

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