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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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sie ihren Sohn Jan zu uns gebracht oder bei uns abgeholt hatte. Denn Jan und Max spielten zusammen, wenn wir in Solthaven waren.
    Koslowski trat dicht an mich heran. Er war größer als ich, und ich musste zu ihm aufsehen.
    »Sie behaupten also, Charles hatte eine Affäre mit Lauren?«
    Er schüttelte den Kopf, als sei er gelangweilt von so viel Begriffsstutzigkeit.
    »Was ist mit meinem Bruder?«, versuchte ich es.
    Immerhin antwortete er mir diesmal.
    »Sie lebten im Osten. Sie wissen doch, dass denen niemand entkam. Wo sollte Ihr werter Bruder also sein? In einem Land, dessen Grenzen für jeden Normalsterblichen dicht und dessen Personenkontrollen lückenlos waren?«
    »Im Sommer 89 waren die Grenzen nicht mehr dicht. Wenn Sie sich erinnern, fiel die Grenze zwischen Ungarn und Österreich bereits im Juni, und die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und Prag wurden von DDR-Bürgern besetzt.«
    »Da ist Ihr Bruder aber nie gelistet worden, wie Sie wissen. Denn dann säße er jetzt ja wohl im Knast.«
    »Viele liefen über die grüne Grenze von Ungarn nach Österreich.«
    »Er hätte irgendwo auftauchen müssen. Ist er aber nicht. Und das ging ohne Hilfe nicht. Fangen Sie doch mal damit an. Und fragen Sie sich vor allem, weshalb Ihr Charles Swann Vater zweier Töchter wurde.«
    Ich wollte das nicht hören. Nicht von ihm und auch von keinem anderen.
    »Sie behaupten also, mein Bruder hat nicht nur Charles getötet, sondern auch seine Freundin Claudia? Und Kortner hat Ihnen den Mord an Claudia in die Schuhe geschoben, weil mein Bruder auf der Flucht war und er unbedingt einen Täter brauchte?«
    »Finden Sie es raus«, sagte er ungerührt. »Wenn er die Langhoff umgebracht hat, dann hat er auch die junge Frau vor vier Monaten umgebracht. Deshalb sollten Sie ihn finden, bevor Kortner ihn findet. Denn über eines sollten Sie sich keine Illusionen machen. Kortner kann ihn nicht lebend gebrauchen, und ich wette eins zu einer Million, dass mein Nachahmer bei der Verhaftung erschossen wird.«
    »Sie wollen mir allen Ernstes weismachen, mein Bruder sei wieder da und morde, weil er ein Serienkiller ist wie Sie?«
    »Ich bin ein Süchtiger. Ich werde niemals aufhören zu töten. Und der Typ, der meine Methode nachahmt, tut es auch nicht. Sie haben ihn nur nie geschnappt.«
    »Und Sie meinen, mein Bruder wäre das gewesen? Und er wäre nie verschwunden und Charles der Vater von Laurens Töchtern?«
    Ich war laut geworden.
    »So habe ich das nicht formuliert.« Koslowski grinste noch immer. »Aber ein paar Rätsel sollten Sie schon selbst lösen.«
    »Sie sind das Letzte«, sagte ich und hatte Mühe, meine Gefühle unter Kontrolle zu behalten. Denn in mir loderte inzwischen eine Wut, mit der ich das ganze Haus hätte heizen können.

9
    Das Erste, was der Junge spürte, war Kälte. Sie lag um seinen Kopf wie eine Klammer, und sein Körper fühlte sich an wie ein Sack Kartoffeln, über den eine Traktor gerollt war. Unter seiner Schädeldecke pochte ein träger Schmerz, und sein Kopf schien gewachsen zu sein. Vorsichtig tastete er ihn ab. Etwas, das sich wie ein Verband anfühlte, war um seine Stirn und den Hinterkopf gewickelt.
    Jan schlug die Augen auf. Dunkelheit umgab ihn. Er drehte vorsichtig den Kopf. Ein dünner Lichtstrahl kroch von irgendwoher über den Fußboden. Sein Blick folgte dem Licht, das durch einen Spalt unten an der Tür hereinfiel.
    Angespannt lauschte er, doch er hörte keinen Laut. Er schnupperte. Es roch heimelig nach gebratenem Fleisch und Kartoffeln. Es erinnerte ihn an die Gerüche im Haus seiner Großmutter, wenn sie mittags auf dem alten Gasherd kochte. Er hatte Hunger, und der Hunger saß quälend in seinem Magen.
    Er versuchte, sich zu erinnern. Die tote Frau hatte in der Scheune gelegen. Er war geflüchtet mit all dem Blut an den Schuhen. Er hatte sich verlaufen und diese merkwürdige Frau, Henny Langhoff, getroffen, und sie hatte ihn mit zu sich nach Hause genommen. Von dort war er wieder weggerannt.
    Aber wieso lag er jetzt mit verbundenem Kopf in einem Bett?
    Er richtete sich langsam auf. In seinem Kopf pochte der Schmerz stärker, und er presste die Hände gegen die Stirn, als könnte das den Schmerz wegdrücken.
    Mit der rechten Hand tastete er auf dem Tisch nach einer Lampe. Er warf etwas um, dann noch etwas. Er ertastete einen runden Fuß mit einem Schalter darauf. Als er ihn herunterdrückte, füllte warmes Licht den Raum. Es war ein kleines, schmales Zimmer mit einem Bett, einem Schrank,

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