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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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erzählte er mir das, und ich hatte es geglaubt, wie ich ihm immer alles geglaubt hatte.
    »Leo hat sich einen Tag, bevor er Charles erschoss, von Claudia getrennt«, sagte Konrad. »Sie hat die ganze Nacht durchgeheult. An dem Tag, als Leo Charles tötete und Claudia verschwand, wollte sie sich mittags noch einmal mit Leo aussprechen. Sie war bei euch, Julie. Und auch wenn ich die ganzen Jahre glaubte, Koslowski hätte sie umgebracht, weil er es gestanden hatte, der Letzte, den Claudia besuchte, war Leo.«
    »Das hast du mir in Hamburg nicht erzählt.«
    »Warum auch? Was spielte es für eine Rolle, ob Leo der Letzte war, der sie gesehen hatte? Was spielte es für eine Rolle, dass er sich von ihr getrennt hatte? Sie war tot. Zuerst glaubten wir natürlich, Leo hätte sie umgebracht, und wir haben ihn überall gesucht. Dann schnappten sie Koslowski, und der gestand und …«
    »Und?«
    Konrad schwieg einen Moment.
    »Mein Vater hat nie geglaubt, dass es Koslowski war«, sagte er. »Mein Vater hat Charles’ und Claudias Leichen am selben Tag gesehen. Er kam nach Hause und war völlig fertig. Er sagte, Leo sei das Bösartigste und Perverseste, was er jemals gesehen habe.«
    Er stand auf. Ich erhob mich ebenfalls und stellte mich ihm in den Weg.
    »Wie konntest du mit mir, seiner Schwester, schlafen?«
    »Du bist nicht er, und du warst so verletzt und traurig.«
    »Du hattest ein Verhältnis mit mir, weil du mich retten wolltest?«
    »Nein. Wenn überhaupt, dann wollte ich mich selbst retten.«
    Er schob mich sanft zur Seite. »Ich glaubte damals, dass Kortner den Richtigen geschnappt hat. Ich war nur entsetzt, was Leo mit Charles noch gemacht hat, nachdem er ihn erschossen hatte.«
    »Was hat er gemacht?«
    Er schüttelte den Kopf und ging zur Tür.
    »Tu das nicht«, sagte ich. »Bitte geh nicht. Bitte antworte mir.«
    Er wandte sich um. »Wenn dein Bruder meine Schwester umgebracht hat, dann sollte er mir niemals mehr unter die Augen treten. Sag ihm das.«
    »Konrad«, sagte ich und spielte meinen letzten Trumpf aus, auch wenn ich mich dabei wie Abschaum fühlte. »Mein Sohn ist auch dein Sohn.«
    Er öffnete die Tür.
    Ich sah ihm hinterher. Seine dunkle Silhouette stand einen Lidschlag lang scharf und kantig im Nachmittagslicht. Er drehte sich nicht um, als er die Tür hinter sich schloss.
    Ich hätte den Satz zu gern zurückgeholt.

32
    Ich fühlte das Klopfen meines Herzens immer noch laut und aufgeregt, als ich den Fußweg zurückging und über das nachdachte, was ich gerade in der Hütte getan hatte wider das Versprechen, das ich mir dereinst selbst gegeben hatte: Konrad niemals zu erzählen, dass er der Vater meines Sohnes ist.
    Ich sah ihn schon von Weitem. Er saß auf einem verschneiten Baumstamm, den Kopf in die Hände gestützt. Als ich ihn erreichte, sah er zu mir hoch. Ich setzte mich neben ihn, und die Kälte kroch sofort durch meine Jeans.
    »Warum hast du mir damals nicht gesagt, dass du von mir schwanger bist?«, fragte Konrad zu meiner Überraschung ruhig und fast freundlich, doch es schien mir, als läge in seiner Stimme ein vorsätzlich ruhiger Ton. Dennoch beruhigte mich dieser Tonfall, und ich erklärte es ihm.
    Der Kern, weshalb ich es nicht gesagt hatte, war Angst. Angst, ihn in eine Rolle zu zwingen, die er vielleicht nicht ausfüllen wollte. Angst, ihm eine Verpflichtung aufzubürden. Angst, dass er Max enttäuschen, ihn vielleicht sogar ablehnen würde. Aber auch Angst, mich auf eine Geschichte einzulassen, von der ich nicht wusste, ob wir beide sie gut handhaben konnten.
    Natürlich wollte Konrad wissen, wie ich mir das nun vorstellte, und als ich ihm, ohne groß zu überlegen, vorschlug, dass sich nichts ändern müsste, wirkte er fast erleichtert.
    »Fragt er nie nach seinem Vater?«
    »Nicht mehr«, antwortete ich. »Ich habe ihm erzählt, sein Vater sei im Kosovokrieg umgekommen. Ich dachte, dass sei das Beste.«
    Als mir die Bedeutung meiner Worte bewusst wurde, erschrak ich.
    »Das Beste für dich?«, fragte er.
    »Nein, für Max.«
    Ich war entsetzt über mich selbst. Ich hatte meinen Sohn nicht nur belogen. Damit konnte ich leben, auch wenn ich nicht stolz darauf war. Aber ich hatte Max auch den Vater genommen, und das war unverzeihlich. Ich hatte weder ihm noch Konrad je die Chance eingeräumt, sich kennen zu lernen. Selbst wenn ich aus den besten Absichten heraus gehandelt hatte, so blieb es doch gemein ausgerechnet dem Menschen gegenüber, den ich am meisten auf der Welt

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