Brüchige Siege
wieder ins
Tagebuch, das Tagbuch in den Beutel, den Beutel ins Kajak
und das Kajak wieder unters Bett stopfen sollen, damit ich
nicht als Schnüffler dastand.
Hätte sollen, ja, wenn mich nicht eine neckische Laune
gepackt hätte. Mein Schnüffeln war nichts dagegen, wie er die
Kameraden und mich hinters Licht geführt hatte. Besonders
mich. Er gab sich als Mensch aus – sogar als wirchliche
Person, um es mit Fosdick zu sagen – dabei hatte er das Erbgut einer Schinkenkonserve.
Ich steckte die Briefe in das Tagebuch zurück, das Tagebuch
in den Lederbeutel und den Lederbeutel ins Kajak, doch das
Kajak ließ ich da, wo es lag. Als Ohrfeige für den Hochstapler.
Jumbo kam ins Zimmer. »Hallo, Daniel. Ist ja infernalisch
heiß hier oben. Warum bist du nicht…?« Er sah das Kajak.
Und die Grasmatte, die ich nicht mal versucht hatte, wieder ins Sitzloch zu stopfen. Er sah mich scharf an. Ich sah ihn ebenso scharf an, frech wie ein Türspalt. Lügner!
Jumbo seufzte und zog den mit Elfenbeinperlen
strangulierten Lederbeutel aus dem Kajak. Er befreite das
wolkige Tagebuch aus dem Beutel. Die Briefe fielen heraus.
Das Zierband, das sie zusammenhielt, saß so locker – beim
Fallen löste sich der Knoten –, daß Jumbo sofort Bescheid
wußte: Ich hatte meine Nase hineingesteckt. Er machte keine
Anstalten, die Briefe aufzuheben.
Statt dessen schlug er das Tagebuch auf. Hielt es wie ein
Gesangbuch mit der einen Hand und leckte den Zeigefinger
der anderen, um die Seiten umzuschlagen. Er tat das drei- oder viermal. Er beäugte die Rinne zwischen den Seiten,
schnupperte daran und machte ein Gesicht, das an Quasimodo
mit Halloweenmaske erinnerte. Dann pustete er in das
Tagebuch, und zwischen uns regnete es Zigarettenasche.
Er wußte Bescheid. Ich wußte Bescheid. Wir wußten beide
Bescheid.
»Aha«, sagte Jumbo. Er setzte sich auf die Bettkante und
starrte an mir vorbei aus dem Fenster.
Vielleicht hätte ich das Weite suchen sollen. Ein nicht
menschlicher Unmensch hatte mich auf frischer –
genaugenommen mittelfrischer – Tat ertappt, und zwar wie ich
seine persönlichen Sachen durchwühlt hatte. Es lag auf der
Hand, daß er am liebsten Kleinholz aus mir gemacht hätte.
Doch ich bekam es einfach nicht mit der Angst. Wir hausten
nun schon einen Monat auf dieser Bude. Als Hellbender hatte
er mich nicht enttäuscht, ich hatte ihm Dutzende weite Würfe
quer über das Infield anvertraut. Wir hatten zusammen
gegessen, und ich hatte gelauscht, wenn er im Schlaf die Laute einer Rundschwanzseekuh imitierte. Er war mein
Zimmerkamerad. Außerdem war ein nicht menschlicher
Unmensch, der persönliche Papiere wie seinen Augapfel
hütete, ein Widerspruch in sich. Nicht menschliche
Unmenschen schreiben gewöhnlich keine Memoiren. Wenn
doch – wie meinetwegen in Mein Kampf oder The Enemy Within – dann beschreiben sie sich nicht als Unmenschen, Dämonen, Scheusale, Menschenfresser oder bedauernswerte
Kreaturen.
»Ich muß schon sagen, du hättest den Nachmittag nicht
besser nutzen können.« Jumbo legte das Tagebuch auf seine
Knie und blätterte weiter. »Du enttäuschst mich nicht. Ich hatte gehofft, daß deine Neugier siegen würde. Wie jeder andere,
Daniel, wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine verwandte
Seele. Einen Freund.«
Wie bitte? Hatte Jumbo soeben gemeint, weil ich in seinen Sachen geschnüffelt hatte, da würde er mich als Freund
betrachten?
»Ich wollte, daß du das Kajak findest«, sagte er. »Und ich war zuversichtlich, du würdest der Verlockung nicht
widerstehen, es eingehender zu untersuchen, auch und vor
allem seinen Inhalt. Ich hatte lediglich Angst, daß überzogene Bedenken dich hindern könnten, die Geheimnisse meiner
Habseligkeiten zu lüften.«
Überzogene Bedenken? Meinte er Aufrichtigkeit?
»Was du heute nachmittag getan hast, verschafft mir große
Erleichterung. Nun brauche ich meine Herkunft nicht mehr zu
verleugnen, nicht mehr zu lügen. Danke, Daniel, daß deine
Neugier stärker war als dein Charakter.«
Das gefällt mir, dachte ich.
Oder überschüttete er mich bloß mit Sarkasmus? Ich hatte
nicht den Eindruck. Er pochte in das Tagebuch auf seinem
Schoß. »Wie weit bist du gekommen?«
Ich zuckte die Achseln.
Jumbo legte das Tagebuch beiseite und stand auf. »Das
Karloff-Festival in LaGrange war ein glücklicher Zufall.
Obwohl mir diese Filme im Grunde weh tun, wollte ich, daß
du sie siehst, denn ich hatte mir vorgenommen – so
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