Brüchige Siege
ich den einzigen Tisch in Beschlag nahm.
Bald darauf konnte ich die rostige Lampe dank des Trans aus einem zugedeckten Kübel bewegen, mir das nötige Licht zu
spenden. Ich begann, die Briefe Waltons an Mrs. Saville
abzuschreiben, wobei ich mich nach Kräften seiner
Handschrift bediente. Unter dem Klagelied eines eisigen
Nordwinds schrieb ich stundenlang ohne Unterlaß.
Gelegentlich füllte ich Tran nach oder nahm frisches Papier, das aus den Vorräten der Caliban stammte. Manchmal
bereitete ich mir, erschrocken über die blinde Habgier meines Hungers, ein Mahl aus zähem Dörrfleisch, das ich bei einem früheren Streifzug aus einer Räucherkammer entwendet hatte; ob es sich dabei um Fisch, Federvieh oder Vierbeiner
handelte, wußte ich weder, noch kümmerte es mich. Insoweit mir der Wechsel von Tag und Nacht nicht entging, schrieb ich sechs oder sieben Tage lang an Waltons Briefen, um hernach auf den Tisch zu sacken und augenblicklich in einen Schlaf der Erschöpfung zufallen.
Warum solche Fronarbeit? Trug ich nicht die Schuld aus
meinem früheren Leben ab, so glaubte ich, würde ich die
Verheißung meiner Wiedergeburt zum Unheil derselben
wenden. Mein früheres Leben war unheilig genug gewesen. Ich war dem Geist von Kapitän Walton zu Dank verpflichtet. Bei dem Wunsch, seiner Schwester – Mrs. Saville – von sich und seiner Reise zu berichten, hatte er die Geschichte meiner
Erschaffung in all ihren schauerlichen Einzelheiten zu Papier gebracht. Außerdem hatte er eine Chronik der mir
entgegengebrachten Ablehnung – ja, Abscheu – und meiner Laufbahn als mitleidsloser Racheengel hinterlassen. Dieser Bericht über meine gescheiterten Hoffnungen und meine
beschämenden Verbrechen würde mir fortan eine Lehre sein.
Zum Dank, daß Walton ihn aufgeschrieben hatte, wollte ich die Briefe oder lesbare Abschriften derselben – einschließlich der Wahrheit über mich – an Mrs. Saville schicken. Diesen
Entschluß hatte ich bereits in den ersten lichten Momenten nach meiner vom Blitz entfachten Wiedergeburt gefaßt. Es mag egoistisch sein, aber ich hatte da schon gewußt, ich würde die Originale für mich reklamieren.
Allein Mrs. Saville die Kopien zu schicken, erwies sich als ein schwieriges Unterfangen. Mein Unterschlupf lag meilenweit
abseits jeder menschlichen Behausung. Es war nicht leicht, eine Postroute oder einen Hafen ausfindig zu machen. Der
unglückselige Kosak allerdings, der diesen Unterstand
ausgehoben hatte, hatte dies in der Nähe eines Flusses getan, der unter einer dünnen Eisdecke rasch und gurgelnd einer
Bucht an der Ostsibirischen See* zustrebte. Unter
Schwierigkeiten folgte ich, meinen ausgetrockneten und
erstarrten Schöpfer auf der Bahre hinter mir herschleppend, diesem zugefrorenen Wasserweg bis zu einer buchtseitigen
Siedlung.
Die Siedlung nistete zwischen zwei Eisriffen nahe den
smaragdgrünen Wassern der kalten See. Um das merkantile
Treiben zu beobachten, bezog ich auf dem westlichen Abhang Position. Wie ein Phantom trieb ich mich nachts bei den
schlichten Werkstätten und Baracken herum, die dem Wasser
die Stirn boten. Auf einem meiner Erkundungsgänge hörte ich, wie ein Ket, ein bärtiger Mann in Beinkleidern aus
Seehundsfell, das Dorf Janalach nannte.
In der Bucht lag ein russisches Schiff vor Anker. Es war voll betakelt und bemastet, die Segel steckten zusammengerollt in horizontalen Kokons. Es hatte in Janalach überwintert. Der Kapitän und seine Mannschaft erwarteten geduldig den kurzen sibirischen Sommer und den nicht lange währenden Rückzug
der Eisdecke. Auf den schlammigen und matschigen Straßen
feilschten kosakische Seeleute und jakutische Nomaden mit
jukagirischen Händlern, eine polyglotte Szenerie voller
Heiterkeit und Mißverständnisse. Das blasse Auge der Sonne hatte nicht nur den Hafen, sondern auch die alten
Feindseligkeiten und Begierden aufgetaut. Ich wurde Zeuge, wie sie sich stritten, betrogen, handgemein wurden und Blut vergossen. Daß Frankenstein mein Verhalten als einzigartig und sinngemäß als abartig und verderbt betrachtet hatte, kam mir allmählich wie ein Ausfluß seiner provinziellen
Engstirnigkeit vor. Hatte er denn die verwerflichen
Handlungen seiner eigenen Artgenossen übersehen?
Bald brachte ich in Erfahrung, daß an Bord des russischen
Schiffes, der Tamyr Princess, ein Spekulant schottischer
Abstammung an diese rauhe und öde Küste gereist war. Die
kosakischen Seeleute riefen ihn Angus Ross, wobei sie
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