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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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ich den einzigen Tisch in Beschlag nahm.
    Bald darauf konnte ich die rostige Lampe dank des Trans aus einem zugedeckten Kübel bewegen, mir das nötige Licht zu
    spenden. Ich begann, die Briefe Waltons an Mrs. Saville
    abzuschreiben, wobei ich mich nach Kräften seiner
    Handschrift bediente. Unter dem Klagelied eines eisigen
    Nordwinds schrieb ich stundenlang ohne Unterlaß.
    Gelegentlich füllte ich Tran nach oder nahm frisches Papier, das aus den Vorräten der Caliban stammte. Manchmal
    bereitete ich mir, erschrocken über die blinde Habgier meines Hungers, ein Mahl aus zähem Dörrfleisch, das ich bei einem früheren Streifzug aus einer Räucherkammer entwendet hatte; ob es sich dabei um Fisch, Federvieh oder Vierbeiner
    handelte, wußte ich weder, noch kümmerte es mich. Insoweit mir der Wechsel von Tag und Nacht nicht entging, schrieb ich sechs oder sieben Tage lang an Waltons Briefen, um hernach auf den Tisch zu sacken und augenblicklich in einen Schlaf der Erschöpfung zufallen.
    Warum solche Fronarbeit? Trug ich nicht die Schuld aus
    meinem früheren Leben ab, so glaubte ich, würde ich die
    Verheißung meiner Wiedergeburt zum Unheil derselben
    wenden. Mein früheres Leben war unheilig genug gewesen. Ich war dem Geist von Kapitän Walton zu Dank verpflichtet. Bei dem Wunsch, seiner Schwester – Mrs. Saville – von sich und seiner Reise zu berichten, hatte er die Geschichte meiner
    Erschaffung in all ihren schauerlichen Einzelheiten zu Papier gebracht. Außerdem hatte er eine Chronik der mir

    entgegengebrachten Ablehnung – ja, Abscheu – und meiner Laufbahn als mitleidsloser Racheengel hinterlassen. Dieser Bericht über meine gescheiterten Hoffnungen und meine
    beschämenden Verbrechen würde mir fortan eine Lehre sein.
    Zum Dank, daß Walton ihn aufgeschrieben hatte, wollte ich die Briefe oder lesbare Abschriften derselben – einschließlich der Wahrheit über mich – an Mrs. Saville schicken. Diesen
    Entschluß hatte ich bereits in den ersten lichten Momenten nach meiner vom Blitz entfachten Wiedergeburt gefaßt. Es mag egoistisch sein, aber ich hatte da schon gewußt, ich würde die Originale für mich reklamieren.
    Allein Mrs. Saville die Kopien zu schicken, erwies sich als ein schwieriges Unterfangen. Mein Unterschlupf lag meilenweit
    abseits jeder menschlichen Behausung. Es war nicht leicht, eine Postroute oder einen Hafen ausfindig zu machen. Der
    unglückselige Kosak allerdings, der diesen Unterstand
    ausgehoben hatte, hatte dies in der Nähe eines Flusses getan, der unter einer dünnen Eisdecke rasch und gurgelnd einer
    Bucht an der Ostsibirischen See* zustrebte. Unter
    Schwierigkeiten folgte ich, meinen ausgetrockneten und
    erstarrten Schöpfer auf der Bahre hinter mir herschleppend, diesem zugefrorenen Wasserweg bis zu einer buchtseitigen
    Siedlung.
    Die Siedlung nistete zwischen zwei Eisriffen nahe den
    smaragdgrünen Wassern der kalten See. Um das merkantile
    Treiben zu beobachten, bezog ich auf dem westlichen Abhang Position. Wie ein Phantom trieb ich mich nachts bei den
    schlichten Werkstätten und Baracken herum, die dem Wasser
    die Stirn boten. Auf einem meiner Erkundungsgänge hörte ich, wie ein Ket, ein bärtiger Mann in Beinkleidern aus
    Seehundsfell, das Dorf Janalach nannte.
    In der Bucht lag ein russisches Schiff vor Anker. Es war voll betakelt und bemastet, die Segel steckten zusammengerollt in horizontalen Kokons. Es hatte in Janalach überwintert. Der Kapitän und seine Mannschaft erwarteten geduldig den kurzen sibirischen Sommer und den nicht lange währenden Rückzug
    der Eisdecke. Auf den schlammigen und matschigen Straßen
    feilschten kosakische Seeleute und jakutische Nomaden mit
    jukagirischen Händlern, eine polyglotte Szenerie voller
    Heiterkeit und Mißverständnisse. Das blasse Auge der Sonne hatte nicht nur den Hafen, sondern auch die alten
    Feindseligkeiten und Begierden aufgetaut. Ich wurde Zeuge, wie sie sich stritten, betrogen, handgemein wurden und Blut vergossen. Daß Frankenstein mein Verhalten als einzigartig und sinngemäß als abartig und verderbt betrachtet hatte, kam mir allmählich wie ein Ausfluß seiner provinziellen
    Engstirnigkeit vor. Hatte er denn die verwerflichen
    Handlungen seiner eigenen Artgenossen übersehen?
    Bald brachte ich in Erfahrung, daß an Bord des russischen
    Schiffes, der Tamyr Princess, ein Spekulant schottischer
    Abstammung an diese rauhe und öde Küste gereist war. Die
    kosakischen Seeleute riefen ihn Angus Ross, wobei sie

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