Brüchige Siege
Verlangen einer Kreatur, die wie ich zufällig
unsterblich ist. Ein lindernder Umstand ist auch meine
Unfruchtbarkeit. Nicht, daß ich die Anziehungskraft des
erotischen Vergnügens leugnen oder geringschätzen würde,
nein, aber ohne Zeugungskraft verliert der Koitus für mich an
Relevanz
– und damit an Anziehungs- wie an
Verführungskraft. Ich brenne nicht mehr wie ein
Schmelzfeuer. Ich brauche keine Frauen, um meine Glut zu
schüren. Somit fließen die Energien meines leidenschaftlichen
Strebens in drei Reservoire: Sühne, Kameradschaft und
Baseball.«
Baseball, das kapierte ich. Kameradschaft, davon hatte ich
einen Schimmer. Aber Sühne, das ging mir zum einen Ohr rein
und zum anderen wieder raus, und zwar auf dem kürzesten
Weg. Henry stand auf. Ich muß auf die Narbenringe gestarrt
haben wie auf die hübschen Waden eines Starlets.
»Ich habe dir diese Spuren meiner Selbstverstümmelung
gezeigt, Daniel, damit du einen Eindruck bekommst, wie weit
mich Einsamkeit und mein Verlangen nach Anschluß damals
getrieben haben. Ich bedaure diesen chirurgischen Eingriff
nicht, aber ich bedaure seine Spuren. Die Narben schmerzen
nicht im physischen Sinne, aber ihr bloßer Anblick bricht mir
das Herz. Ich ersuche dich dringend, deinen Blick
abzuwenden.
Bitte, Daniel.«
Ich sah woanders hin. Henry raffte seinen Overall vom
Boden und stieg in die Hosenbeine und schuppte die Träger
hoch. Ich sah nicht, wie er das tat – ich hörte es.
37
AM SONNTAGMORGEN, ALS DER Braune Bomber auf den
Parkplatz von McKissic Field bog, bot das Stadion samt
Barbecue-Gruben den Anblick einer Geburtstagsparty auf
einem Truppenübungsplatz. Jede Menge Highbridger hatten
schon den Kirchgang zelebriert, viele nicht. Wir Hellbender,
mal abgesehen von Mister JayMacs ostentativer Frömmigkeit,
gehörten zu letzteren. Unser Gottesdienst hatte aus einer
Ansprache Colonel Elshtains und ein paar Gebeten auf der
Fahrt hierher bestanden. Wie dem auch sei, am McKissic Field
standen sie Schlange für das Barbecue (das erst um eins
losgehen sollte), Verkäufer priesen jede Menge Krimskram an
und etliche Soldaten im Kampfanzug standen Wache entlang
einer abgesperrten Schneise zu der Stelle, wo Darius immer
parkte.
Kaum hatten wir angehalten, da richtete Mister JayMac das
Wort an uns: »Präsident Roosevelt hat die letzten zwei Tage
im Little White House in Warm Springs verbracht. In Anbetracht des Krieges fällt es ihm natürlich schwer,
Washington zu verlassen – außer, er muß sich an Bord eines
Schiffes mit führenden Politikern unserer Verbündeten oder
mit seinen Generälen besprechen. Aus Gründen, die ich hier
nicht zu erläutern brauche« – Mister JayMac wischte sich den
Nacken mit einem Taschentuch –, »kommt es nur selten vor,
daß der Präsident im Hochsommer nach Georgia kommt. Vor
fünf Jahren kam er für einen Tag im August hierher;
normalerweise hebt er sich solche Abstecher für den Frühling
oder Herbst auf. Seine Anwesenheit an diesem Vierten Juli
zeugt von seiner robusten Gesundheit und seiner Integrität als Patriot. Sie bezeugt seinen Respekt vor allen Menschen, die im Süden geboren sind oder hier leben.«
»Heiliges Kanonenrohr!« platzte Trapdoor Evans heraus.
»Dieser gottverdammte Polio wird sich doch nicht etwa in
unser Stadion verirren?«1
Colonel Elshtain erhob sich. »Ein Spiel wird er sich auf jeden Fall ansehen, vielleicht beide. Und sollten Sie Gelegenheit
haben, ihm persönlich zu begegnen, Gentlemen, so empfehle
ich Ihnen eine respektvollere Anrede als Dieser gottverdammte Polio.«
»Wie wär’s mit ›Eure Hoheit‹?« sagte Buck Hoey.
»Mann Gottes«, sagte Muscles. »Wir müssen gewinnen.
Wenn wir verlieren, blamieren wir uns vor dem Präsidenten
der Vereinigten Staaten.«
»Niederlagen sind keine Blamage«, sagte Colonel Elshtain.
»Sprüche wie Dieser gottverdammte Polio! und Wie wär’s mit
›Eure Hoheit‹? sind weit mehr dazu angetan. Ob jemand den momentanen Präsidenten nun als Zierde oder als Schandfleck
dieses Amtes betrachtet, ändert nichts an der Tatsache, daß…«
Und bla-bla, bla-bla-bla.
Zwei Sitze vor mir hob Turkey Sloan die Hand.
»Was gibt es, Mr. Sloan?« sagte Mister JayMac.
Sloan stand auf. »Vor nicht allzu langer Zeit, Sir, habe ich
eine Huldigung an den Führer der Freien Welt, seine
Administration und seine Familie geschrieben. Um Colonel
Elshtains Zweifel an unserer Loyalität zu zerstreuen, bitte ich Sie,
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