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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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eiernde Star-
    Spangled Banner setzte.
    Als ich an diesem Abend das Stadion verließ, rückte wieder
    ein Trupp von Zimmerleuten an, um weiter an dem rätselhaften
    System von Rampen zu werkeln.

    Zusammen mit den meisten Kameraden, die in McKissic
    House wohnten, nahm ich in der Kantine eine leichte Mahlzeit
    zu mir; danach zog ich mich auf die vordere Veranda zurück,
    um die Abendbrise zu genießen. Mister JayMac und Miss
    Giselle fuhren in ihrem Caddy mit Colonel und Mrs. Elshtain
    vorbei, wahrscheinlich zum Dinner irgendwo außerhalb. Daß
    sie mich nicht mitnahmen, tat einerseits weh und war mir
    andererseits nur recht.
    Oben auf meinem Zimmer – Henry hatte Küchendienst –
    schrieb ich weiter aus dem Tagebuch ab. Die Abschnitte faßten
    einen Zeitraum von immerhin zehn bis fünfzehn Jahren
    zusammen – Henrys Abreise aus Alaska und seine Streifzüge
    durch den amerikanischen Nordwesten. In Washington State,
    Oregon und Idaho gewöhnte er sich den Verzehr von Fleisch
    wieder ab und ernährte sich hauptsächlich von Karotten,
    Knollen, Blattgemüse, Beeren und Nüssen. Aber er versteckte
    sich vor den Menschen und hauste in den Wäldern.
    Hier ist so eine Passage:

    Trotz meiner Entfremdung von den helleren Aspekten des
    Menschseins erlebte ich in den Cascades* nicht selten ein
    melancholisches Glücksgefühl So eines Nachmittags, als ich auf einem Felsen saß und auf einen Bach blickte, der von
    Bäumen flankiert und auf beiden Seiten von Laubmulch und
    Moos kaschiert wurde. Das Rauschen und Gurgeln des
    Wassers und die azurblaue Helligkeit des Himmels fanden
    zusammen, um mich gemeinsam zu beflügeln – mit einer
    solchen Intensität, daß ich einen Festgesang der Ungpekmat anstimmte.
    Ich singe nicht gut. Meine Stimme hat ein barbarisches
    Timbre, das selbst mich zuweilen aus der Fassung bringt. An diesem Nachmittag aber brach das Lied aus mir hervor wie
    der Gesang einer Nachtigall. Obwohl die Vögel verstummten

    und die Insekten zu zirpen vergaßen, war mir selbst zumute wie einer schlagenden Nachtigall – nur mir, versteht sich.
    Zwei Krieger traten aus dem Buschwerk jenseits des Bachs
    und schossen mit Pfeil und Bogen auf mich. Auch wenn mir die banale Zwangsläufigkeit vertraut war, mit der die Menschen gegen mich vorgingen, so überraschte mich dieser Angriff
    doch. Wollte mir denn die Rasse meines Urhebers allezeit mit Feindseligkeit und Gewalt begegnen? Europäer, Asiaten,
    Sibirier, Angelsachsen – ja selbst die Inuits, denen ich fremd war –, alle reagierten sie auf mich wie auf eine tödliche Bedrohung, die man nicht rasch genug aus der Welt schaffen konnte. Die Angreifer, deren Pfeile ihr Ziel weit verfehlten oder an meinem Felsen abprallten, gehörten zur Sahaptin-Gruppe der nordamerikanischen Indianer: Es waren Cayuse,
    Palouse oder Wallawalla. Ich identifizierte sie anhand ihrer Kleidung und, als ich sie reden hörte, aufgrund gewisser
    Besonderheiten ihres Penuti-Dialekts.
    Noch ehe ich mich ganz von meinem Schrecken erholt hatte,
    kämpfte ich mich auf die Füße, um ein warnendes und
    vorwurfsvolles Gebrüll auszustoßen. Die mit Leder bekleideten Eingeborenen zogen sich hinter einen Wall aus
    Heidelbeersträuchern zurück.
    Ich brüllte aufs neue.
    Und sprang brüllend von meinem Felsblock in das frische
    Grün am Boden, nur eine Bachbreite von ihrem Palaver
    entfernt. Diese Taktik, nicht zurückweichen, sondern
    vorrücken, verstörte und erschreckte die schießwütigen
    Eingeborenen.
    »Sasquatch!« schrie einer von ihnen.
    Sie flohen, pflügten regelrecht durchs Laubwerk, und riefen immerzu »Sasquatch! Sasquatch!« als gelte es, entfernte
    Stammesbrüder zu warnen.

    Erneut auf mein anscheinend unwiderrufliches Schicksal als Ausgestoßener verwiesen, sah ich mich fortan wieder vor und vermied es tunlichst, mich den Eingeborenen oder ihren despektierlichen angelsächsischen Widersachern zu zeigen.
    Nichtsdestoweniger fuhr ich fort, die Dörfer und Städte beider zu erkunden. Wie oft sollte ich die fremde Losung
    »Sasquatch!« zu hören bekommen, die diese verfeindeten
    Gruppen in ihrer irrigen Furcht vor mir einte. So wurde ich auf meinem Weg von Ungpek in den pazifischen Nordwesten
    und während meines Aufenthalts dort zu einer Legende, die
    ihren Ursprung und ihr Gedeihen einer schmerzlich
    ∗
    kränkenden Lüge verdankt.

    Wenige Minuten, nachdem ich diese Passage gelesen hatte,
    kam Henry aufs Zimmer. Er sah es gern, wenn ich sein
    Tagebuch abschrieb. Auch wenn er sein

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