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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Präsidentenzelt. »Für
    ‘nen Angeber aus New York.«
    Ich fand auch, er war in Ordnung. Ich wußte nicht, ob man
    am Präsidenten herumnörgeln durfte oder sollte. Deshalb hatte
    mich auch das rotzfreche Gedicht von Sloan an Bord des
    Bombers so beeindruckt. Für mich war FDR wie ein König. So
    lange ich zurückdenken konnte, hatte niemand anderes dieses
    Amt bekleidet.
    »Ich weiß, wo du an dem Abend warst, als du nicht zum
    Dinner erschienen bist«, sagte Phoebe. »Penticuff Strip.«
    Ich sah auf meine Schuhspitzen. Ihr Großonkel wußte, wo ich
    den Freitagabend verbracht hatte. Auch die meisten von
    meinen Kameraden. Bei einem Picknick bekam man
    unwillkürlich allerlei Behauptungen, Angebereien und Tratsch
    mit.
    »Tatsächlich war es noch viel schlimmer«, sagte Phoebe.
    »Ich sage nur Wing & Thigh, ein Lokal, in dem es Brathühnchen und leichte Mädchen gibt.«
    Das A-Capella-Quartett, das für FDR sang, hatte sich eben in
    Making Whoopee eingeschmalzt, eine He-wie-wär’s-mit-uns-Version mit jede Menge Augenverdrehen und so. Phoebes
    Bemerkung und das unzweideutige Thema des Lieds trieben
    mir die Röte ins Gesicht. Was, um Himmels willen, wußte
    Phoebe über leichte Mädchen? Mehr als ich?
    »Hast du deine Unschuld verloren?«
    Ich sah sie an, als habe sie gefragt, ob man mich
    geschwängert und von einem Bastard entbunden hätte.
    »Ich will wissen, ob dir irgend so ein Frauenzimmer auf dem
    Strip die Unschuld geraubt hat?«

    Ich verspürte plötzlich den Drang wegzugehen. Doch die
    rasch nachreifende Gewißheit, daß mich mein Abgang auf
    immer und ewig von Phoebe trennen würde, hielt mich zurück.
    Ich mußte ihre Frage beantworten, und zwar offen und ehrlich;
    also schüttelte ich den Kopf und war froh, daß ich dank meiner Stummheit nicht ins schwanzpeinliche Detail zu gehen
    brauchte.
    »Heiliges Ehrenwort?«
    Ich nickte. Curridens Geld hatte mir nur eine Beule am Kopf
    eingetragen, einen Filmriß und eine Kette aus beschämenden
    Erinnerungen.
    »Wenn das stimmt, Daniel Boles, dann küß mich jetzt.«
    Es stimmte, meine von Akne heimgesuchten Jugendjahre
    sind Zeuge. Doch bis jetzt hatte mir noch kein weibliches
    Wesen zu verstehen gegeben, daß meine intakte Unschuld
    ∗
    mich zur ÖZZ berechtigte. Na ja, halb-ö: zwischen uns und
    den Spaßvögeln am See waren immerhin die
    Magnolienzweige.
    Phoebe legte Hand an meine mageren Lenden und stellte sich
    auf Zehenspitzen, um mir einen Kuß zu geben. Ich beugte
    mich vor, um ihn zu pflücken. Er schmeckte ein bißchen nach
    Grillsauce und Weincreme, aber mehr nach dem Atem eines
    menschlichen Rehs und dem verträumten Hunger einer
    Fünfzehnjährigen, die mehr Herz als Erfahrung mitbrachte.
    Mir gefiel dieser Kuß. Er flößte mir (fast) die ganze Phoebe
    ein, die pricklige Säure ihres Hungers, ihren Mund, ihre
    Augen, ihre Knospen, ihre Achseln und selbst das banale
    Geheimnis ihres Geschlechts. Ich packte sie und baute den
    Kuß aus – machte ihn derber, herber und immer noch
    verwirrender für uns.
    Da entfuhr Phoebe, die immer noch auf Zehenspitzen stand,
    um den Kuß zu halten, ein flitzescharfer Furz. Ihre Zähne

    ∗ Öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung

    stießen mit einem Klickser gegen die meinen, und der Kuß
    fand ein jähes Ende. Mich aber hatte er Jahre durchleben
    lassen, und der kleine Pups hatte mir diese Epoche nicht
    vergällt, er hatte sie auch nicht lächerlich gemacht – nein, er hatte ihr eine lustige Pointe aufgesetzt. Es war, als hätte
    Phoebe mir ihr Tagebuch ausgehändigt oder als wäre sie
    splitter-fasernackt in mein Schlafzimmer gekommen. Ich kam
    mir handverlesen vor, auserkoren und war wie beschwipst, als
    sie sich aus meinen Händen wand und mich wieder in das
    betäubende Halligalli meiner Kameraden entließ. Phoebe
    umarmte sich wie jemand, der friert.
    »Was hast du jetzt vor?« sagte sie. »Dieser dämliche
    Brunswick-Stew. Ganze zwei Löffel hab ich gegessen, und
    dann das.«
    Ich machte Anstalten, sie zu trösten – oder sagen wir, sie zu
    zerstreuen –, und mir einen zweiten Kuß zu ergattern, doch
    Mister JayMac oder sonst jemand mit einer Sturmpfeife
    trillerte dazwischen, und Phoebe zog mich an der Hand aus der
    schütteren Laube aus Magnolienblüten in den Wundbrand
    einer sterbenden Independence-Day-Sonne hinaus.
    »Alle Mann hierher!« rief Mister JayMac. »Pronto!«
    Die Lakaien des Präsidenten und ein paar Hellbender hatten
    alle Accessoires nebst Rückbank wieder in die

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