Brüchige Siege
eine Forelle
am Angelhaken. Meine Finger wurden kalt wie Eis.
»Sie haben meisterlich gespielt, Daniel«, meinte Mr.
Roosevelt. »Ich sage Ihnen eine glänzende Zukunft voraus.«
Ich gab ein ersticktes Krächzen von mir und tat alles, um
nicht wie ein stummer Orang-Utan zu wirken.
»Schon gut. Ihre Freunde haben mir davon erzählt. Bitte,
betrachten Sie Ihr Handicap als etwas, das uns verbindet, so
unterschiedlich unsere Probleme auch sein mögen.« FDR
nickte dem Colonel zu. »Sehr gut. Lassen Sie ihn einsteigen.
Ich habe nicht vor, das vor einem Publikum aus staunenden
Elfen und Kobolden zu machen.«
»Wen einsteigen lassen? Was vor wem machen?«
Colonel Elshtain öffnete den hinteren Wagenschlag und
nickte mir auffordernd zu. »Der Präsident hat dir etwas
mitzuteilen, Daniel. Du fährst mit bis zum Eingangstor.«
Ich? Ich stand da, von Zweifeln hin- und hergerissen,
verwirrt.
»Geh schon«, sagte Phoebe. »Er beißt nicht.«
FDR schien das köstlich zu finden. »Was für große Zähne er
hat und was für ein Schlachterbesteck? Aber Miss Pharram hat
ganz recht – ich beiße selten einen potentiellen Wähler der
Demokraten.« Doch er wurde gleich wieder ernst. »Na los,
Daniel, steigen Sie ein!«
Vor aller Augen – sogar den Koboldaugen von Muscles und
Curriden – kletterte ich hinter einem schwarzen Chauffeur und
∗
einem Secret Service-Agenten, der wie Beau Brummell
gekleidet war, zu FDR auf die Rückbank. Der Präsident nickte
mir zu, und dann fuhren wir den Hang hinauf und zwischen
McKissic House und Wagenschuppen hindurch und zweigten
zur Ausfahrt auf die Angus Road ab. Leuchtkäfer blinkten,
während wir durch den Sommerabend schnurrten.
»Colonel Elshtain bat mich, Ihnen diese Nachricht zu
eröffnen, gleichsam als Gefälligkeit für früher geleistete
fachkundige Dienste«, sagte der Präsident. »Er ist wohl der
Ansicht, daß Sie es aus meinem Mund leichter nehmen. Ich bin
mir da nicht sicher. Ich kann Ihren unvermeidlichen Schmerz
wohl kaum lindern, wenn ich Ihnen den aufrichtigen Dank
unserer Nation ausspreche.«
Unvermeidlicher Schmerz? Was, zum Kuckuck…
Der Präsident fischte ein Stück Papier – ein Telegramm? –
aus der Innentasche seines Leinenjacketts. »Lieber Gott, ist das taktlos. Vergib mir.« Er faltete das Papier auf und studierte es einen Moment lang. »Daniel, Ihr Vater ist auf den Aleuten
gefallen, am sechzehnten Juni, bald nachdem die Vierte
Infanteriedivision Attu von den Japanern zurückerobert hatte.
Er war mit einem Truppentransporter der Elften Air Force von
Umnak nach Attu geflogen; man landete im Kielwasser der
Säuberungsaktionen, und auf irgendeiner Expedition ins Innere
der Insel ist Ihr Vater, Richard Oconostota Boles, zusammen
mit vier anderen tapferen Amerikanern ums Leben
gekommen.« Der Präsident händigte mir das Telegramm aus.
»Hier stehen die ungeschminkten Tatsachen, Daniel. Die
Einzelheiten habe ich von Colonel Elshtain, der sie wiederum
von einem Officer der Grabregistratur beim Oberkommando
Alaska hat. Auf jeden Fall ist Ihr Vater einen ehrenhaften Tod gestorben.«
∗ George Bryan Brummell (1778-1840), englischer Modegeck, Prototyp des Dandy
Ich hielt das Telegramm fest. Wir erreichten das Tor zur
Angus Road. Die Limousine samt motorisierter Eskorte und
Manndeckung kam zum Stehen und wartete. In einer Kiefer
auf der anderen Straßenseite miaute eine Spottdrossel. Ich sah mich diese traurige Nachricht empfangen wie jemand, der im
Kino sitzt und sich einen Film ansieht: Einstellung von oben
auf eine offene Limousine, in der mein Double neben einem
unechten Präsidenten sitzt, dessen Stimme nur leise zu hören
ist. Doch FDR war mir zum Anfassen nahe, und in einer Falte
der taubengrau gepolsterten Sitzbank hatten sich Brösel von
Pariserbrot gesammelt.
»Man sagt mir, Ihre Eltern hätten seit einigen Jahren getrennt gelebt«, sagte FDR. »Andererseits stirbt die Zuneigung zu
einem Elternteil nicht völlig nach einer Trennung, und ich
bilde mir ein – ja, ich hoffe –, Sie erinnern sich an Ihren Vater mit einem gewissen Maß an Anhänglichkeit. Ich fühle mich
zutiefst geehrt und bin gleichzeitig zutiefst betrübt, der
Überbringer einer so schmerzlichen Nachricht zu sein.«
Ich konnte nicht weinen. Nicht in Gegenwart von Franklin
Delano Roosevelt – und nicht als siebzehnjähriger
Baseballprofi. Den eigentlichen Kern seiner Worte begriff ich
sowieso nicht gleich, und die
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