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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Erinnerungen an meinen Dad
    explodierten zu einem lautlosen blinden Dickicht. Ich nickte
    dem Präsidenten zu, machte den Schlag auf und stieg aus.
    »Soll ich Sie zum Haus fahren lassen?«
    Ah-ah. Die Konturen meiner Umgebung hatten sich
    verwischt, waren mir fremd. Ich hätte ebensogut im Zwielicht
    einer afrikanischen Schlammzone stehen können.
    »Ein Privileg, Sie kennengelernt zu haben, Daniel.«
    Vielleicht habe ich den Kopf gehoben, vielleicht auch nicht.
    Ich wandte mich ab und stieg den Rasen nach McKissic House
    empor. FDR und seine Mannschaft bogen auf die Straße und
    rollten in den von Geißblatt durchtränkten Abend hinaus.

    Auf halbem Weg kam Phoebe mir mit hängenden Armen
    entgegen. Ich gab ihr das Telegramm. Sie las es nicht. Jemand
    hatte ihr gesagt, was drinstand. Sie hob die Hände, beschrieb
    einen Halbkreis um mich. Dann warf sie sich auf mich, als wär
    ich ein Football-Dummy, und drückte sich in einem
    Überschwang an Mitleid und Tränen an mich. Ich nahm sie in
    die Arme.
    »Phoebe«, sagte ich.

    39

    SEIT PUMPHREY MIR GEWALT ANGETAN HATTE, war mehr als
    ein Monat vergangen. Nennen wir diesen Monat bis zur
    Nachricht von Dick Boles’ Ableben eine Flucht in die
    Stummheit. Niemand in Highbridge, mit Ausnahme von Mister
    JayMac, hatte mich je reden hören. Ich selbst war schon auf
    dem besten Weg gewesen, mir vorzumachen, ich sei stumm
    von Kindesbeinen an und würde mein Gebrechen mit ins Grab
    nehmen – und schweigen bis in alle Ewigkeit. Ha.
    Andererseits, den Namen ›Phoebe‹ über die Lippen zu
    bringen, stieß noch nicht die Tür zu einer ganzen erstickten
    Bibliothek an Lauten auf. Bei jedem zweiten Wort, das ich
    zuwege brachte, funkte mein alter Freund, der Sto-Sto-
    Stotterer dazwischen. Hinzu kam, daß ich mir das Reden
    schlichtweg abgewöhnt hatte. Es war eben manchmal leichter
    zu schweigen, manchmal auch nobler und manchmal einfach
    nur erfreulich unliebsam für pingelige Leute, die von mir eine Antwort oder eine Erklärung wollten. Und wenn meine Zunge
    die Signale vom Sprachzentrum verschlief, na und? Die Leute
    reden eh zuviel. Was mein Kehlkopfmikrophon und diese
    verdammten Interviews belegen.
    »Danny kann reden«, verkündete Phoebe, als wir zu den
    anderen stießen. »Er hat meinen Namen ausgesprochen.«
    Miss Tulipa nahm mich in die Arme. Dann umarmte mich
    Miss LaRaina. Kizzy kam – sie schaukelte mich hin und her,
    die Stirn fest an mein Brustbein gedrückt. Sogar Miss Giselle
    stellte sich ein und machte mich kurz mit ihren
    Schulterpolstern bekannt. Mister JayMac, der Colonel und die

    Kameraden patrouillierten wie ahnungslose Grenzwächter am
    Rand meiner Trauer.
    »Was für ein Schock«, sagte Miss Tulipa. »Was für ein
    Schock, der selbst eine Laryngitis erschüttert.«
    »Du mußt jetzt stark sein«, sagte Kizzy, die Zöpfe in meinen
    Händen fühlten sich an wie aus Metall geflochtene Schlangen.
    »Mr. Roozerfeld hat dir die Traurigkeit nicht gesagt, damit du dich jetzt hängen läßt, Danny Bowes.«
    Ich stieß Kizzy so weit zurück, daß ich ihr ins Gesicht sehen
    konnte. »Ich m-m-mache mir nichts draus. Ich b-b-bin froh,
    daß D-D-Daddy tot ist.«
    »Ein Kind der neuen Schule«, hörte ich Hoey ganz in der
    Nähe sagen. »Ein echter Verehrer des fünften Gebots.«
    Ich entdeckte Hoeys Silhouette unter all den anderen und
    funkelte ihn an. »Ver-p-p-piß dich!« Niemand johlte oder
    lachte. Damals führte man in Gegenwart von Ladies noch
    keine schmutzigen Reden im Mund, auch dann nicht, wenn
    eine farbig war und eine andere bestenfalls einen schlüpfrigen Anspruch auf diesen Titel hatte. Dementsprechend schockierte
    meine Retourkutsche an Hoey die Anwesenden beiderlei
    Geschlechts, meine Mitstreiter so sehr wie meine Trösterinnen.
    Vielleicht war Phoebe die einzige, die mein trotziges
    Aufbegehren zu würdigen wußte, auch wenn sie das eigentlich
    nicht sollte. Doch da war keiner – abgesehen von Hoey – der
    nicht Milde walten ließ, und so fand ich auf mein Zimmer,
    ohne geteert und gefedert zu werden.
    Henry ließ mich zufrieden. Aufs Bett gekauert – der
    vergitterte Ventilator jagte mir Fieberschauer über Arme und
    Beine – da sagte ich mir, daß nichts meinen Daddy vor der
    Hölle bewahrt hatte, nicht einmal seine Pflichttreue gegenüber Gott und Vaterland.

Jeder kann sich ausrechnen, warum. Er verdiente es, ewig in der Hölle zu schmoren. Als er sich davongemacht hatte, hatte

    er Mama schwer gekränkt und mich fast am Boden

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