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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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zu
    schlafen; so als lägen sie unter einem dünnen Dach, auf dem
    der Regen trommelt. Bei mir ist das nicht so. Mich erinnert das Klickerdiklack der Spurkranzräder auf den Geleisen an das
    Ticken eines Weckers, der jeden Moment losschrillen kann.
    Mein Zug konnte jeden Moment entgleisen…
    Ich starb fast vor Erniedrigung, doch wenn es Alarm gegeben
    hätte, ich wär wie ein Springteufelchen auf den Beinen
    gewesen. (Nachdem ein paar Soldaten in Camp Robinson aus-
    und ein paar andere in Little Rock umgestiegen waren, hatte
    ich mir eine Koje erobert.) Weinend war ich eingedöst. Ich
    träumte von Daddy, von Richard Oconostota Boles.
    Daddys Sippe kam aus dem heutigen Pickens County in
    Georgia, zusammen mit dem kläglichen Rest der von der
    Cholera heimgesuchten Cherokees. Schon meine Ur-Ur-
    Urgroßeltern von Daddys Seite, vollblütige, eingeborene
    Amerikaner, waren also auf dem Pfad der Tränen gewesen…
    Sie kamen nach Oklahoma – ins US-Indianer-Territorium –
    und siedelten da, wo heute die Stadt Checotah liegt.
    Mama Laurel war eine norwegische Helvig, durch und durch
    eine weiße Farmerstochter; sie und Daddy begegneten sich bei
    einem protestantischen Picknick am Tenkiller Lake, wo er für
    einen Wells-Fargo-Vertreter* aus Muskogee schreinerte.
    Daddy war neunzehn, als ich geboren wurde, sieben Jahre
    jünger als Mama. Sie hatten es nicht leicht. Das Geld blieb
    knapp, und mein Vater hatte eine schmerzliche Schwäche für
    Kneipen und Frauen. Mama hielt ihm zugute, daß er so jung
    geheiratet hatte – mit siebzehn, als er gerade mal so alt wie ich war, als ich diesen Zug bestieg, um Oklahoma zu verlassen.
    Außerdem betete sie ihn an, auch wenn er bloß den Verstand
    eines cleveren Zehnjährigen und das Gefühlsleben eines
    Gürteltiers hatte.
    Daddy spielte Stegreifbaseball, wann immer er konnte, zahlte
    gutes Geld für schlechten illegalen Whiskey und verdrehte all
    den ›schlimmen‹ Mädels in und um Muskogee den Kopf. Er
    baute Ställe, Räucherkammern und Getreidesilos für die Leute
    und lernte bei einem ansässigen Pierce-Arrow-Händler das
    Handwerk des Automechanikers. Er liebte Autos. Na ja,
    eigentlich mehr die Motoren – die Schmiermittel und Kolben
    und Riemen.
    Ein Jahr, bevor die Wertpapierbörse in den Keller ging, fuhr
    Daddy mit einem Einachser von Farm zu Farm und verhökerte
    Ful-O-Pep-Mash, ein Hühnerfutter mit Fischlebermehl. Das
    Zeug sollte Hennen dazu animieren, baseballgroße Eier zu
    legen. Mama erzählte, Daddy habe den Leuten immer einen
    richtigen Baseball gezeigt, als ob das ein Beweis gewesen
    wäre. Und die erste Runde mit dem Einachser war dann auch
    ein Erfolg. Bei der zweiten brauchten die Farmer allerdings nur ihre Zwergeier neben Dads Baseball zu halten, und die Sache
    war gegessen. Für einen Pitcher* mit ›Tennisarm‹ mochten die
    Eier gerade richtig sein, für Farmer waren sie ein Reinfall.
    Nicht lange, und Daddy gab das Futtergeschäft auf und
    verlegte sich aufs Reparieren von Landmaschinen.
    Mama hatte damals keinen Job. Ich war ihr Job – ein Perpetuum mobile mit Lautsprecheranlage.
    Wie dem auch sei, der Markt stürzte ab, die Depression
    schlug zu und die Great Plains* verwandelten sich in
    Staubbecken. Stürme fegten selbst über unsere östlichsten
    Prärien. Und über die Hügel rings um Tenkiller. Tobsüchtige
    Mammutgespenster. Die Sonne war ein verrosteter
    Mülltonnendeckel hinter einer gewaltigen, mit Tee besudelten

    Gardine. Wir wohnten am Rand von Tenkiller. Purer Sand floß
    durch jede Ritze des Wohnschuppens, den Daddy von Mr.
    Neal gemietet hatte, bedeckte jede Fensterbrüstung, jeden Sims und jeden Türsturz. Zwängte sich unter jede Türschwelle.
    Unser Zahnfleisch blutete. Wir bohrten in unseren Nasen nach
    Popelperlen. Das Land trocknete allmählich aus, die Jobs taten es rapide. Die Leute kamen in Bewegung.
    Eines staubfreien Tages spielte Dickie Boles Baseball mit
    mir. Er zeigte mir, wie man fing und wie man warf. Ich stand
    vor der Rückwand von Tenkillers leerem Eissilo und
    schleuderte einen Spaldeen* dagegen. (Einen von diesen
    rosaroten hohlen Hartgummibällen, mit denen Stadtkinder
    Stockball* spielen.) Das Aas prallte schneller zurück als Licht.
    Ich spielte ihn mit bloßen Händen, änderte schnell die Stellung und schleuderte ihn so hart wie möglich an die Ziegelwand
    zurück.
    Daddy ließ mich das machen, bis ich fast tot umfiel. Mit
    sieben konnte ich dann eine halbe Stunde lang gegen die Wand
    spielen, schiefe

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