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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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gelaufen waren – müssen mich für
    einen Ausreißer aus der ›Anstalt für taubstumme Bauerntölpel‹
    in Oklahoma gehalten haben. Ich zahlte und taumelte wieder
    auf die Plattform hinaus.
    Und blieb da, wo meine Nieren sich bald anfühlten wie
    umgeschnallte Cocktail-Mixer. In den Feldern, die
    vorüberflogen, konnte ich Stangenbohnen ausmachen, grüne
    Bohnen, Luzerne, Baumwolle. Der Boden erinnerte an dunkle
    Schokoladentorte. Wir fuhren tiefer in den erzkonservativen
    Süden hinein. Die Luft wurde dicker, die Gerüche wurden
    komischer, die fremden Feldfrüchte machten mir irgendwie
    angst.
    Ein Soldat kam auf die Plattform. Ich beugte mich übers
    Geländer, doch er blieb. Ich spürte den Blick im Rücken, wie
    er durchs Hemd sickerte und die Arme hinaufkroch – wie

    Kerosin in einem Haufen Putzlumpen. Schließlich drehte ich
    mich um.
    Ein älterer Bursche. Streifen am Ärmel, Bänder an der
    Brusttasche, dicke Lippen. Die Hautfarbe erinnerte an
    Dosenschinken. Ein Sergeant. Bestimmt ein Veteran aus
    irgendeiner Schlacht. Ich entspannte mich. Kampferprobte
    Unteroffiziere zeigten sich in den Ausbildungslagern von der
    harten Seite, bei Kids und Frauen und gutmütigen Zivilisten
    waren sie Teddybären.
    »Du heißt Boles?« schrie der Sergeant. Ich nickte
    erschrocken. »Ich bin First Sergeant Pumphrey. Private
    Overbeck hat mir von dir erzählt! Hat dich haargenau
    beschrieben! Du kommst aus Tenkiller, Oklahoma?«
    »J-J-Jawoll, Sir!« schrie ich zurück. Die Plattform rüttelte,
    aber ich bebte nicht bloß deswegen.
    »Sergeant!« korrigierte er mich. »Kein Officer! Kein
    Gentleman! Und bestimmt kein geiler Sir!«
    »J-J-Jawoll, Sir!«
    Pumphrey machte eine Geste, die den Zug meinte, die
    blitzenden Geleise und vorbeiziehenden Baumwollfelder. »Das
    ist Mist! Komm mit!« Er riß mich in die jähe Stille des Abteils.
    Meine Ohren japsten förmlich nach dem Lärm von draußen.
    Pumphrey stieß mich durch den ganzen Wagen, dann durch
    den zweiten und so fort bis in einen Wagen mit Toilette.
    Pumphrey schubste mich hinein. War er schwul? Coach
    Brandon hatte uns Jungs im Hygieneunterricht der fünften
    Klasse vor dem ganzen Scheiß gewarnt, aber ich kapierte
    immer noch nicht. Damals hielt die Hälfte der männlichen
    Oberschüler das Wort Hygiene für etwas Schmutziges.
    Wir hatten die Toilette fast für uns. Der einzige andere
    Bursche, der noch hier war, saß mit dem Steißbein auf dem
    hinteren Rand der Klobrille, die Zehen über dem vorderen
    Rand und die Arme um die Knie, damit die Schuhe nicht

    abrutschten und ihn unsanft weckten. Sein offener Mund
    fauchte leise. Pumphrey ignorierte ihn wie einen Wasserklecks
    und bugsierte mich rücklings gegen ein Waschbecken.
    »Ich kenne deinen Dad, Boles«, sagte er. »Bis vor zwei
    Wochen haben wir zusammen Dienst geschoben, Aleuten*,
    Luftstützpunkt der Army, selber gottverdammter
    Nachschubverein. Schon mal von Otter Point gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ist auf Umnak.* Kalt wie ‘n Eisbärschwanz. Windiger als
    Chicago. Nebliger als ‘ne Trockeneisfabrik.«
    Ich hatte keinen Schimmer, was Pumphrey vorhatte. Er
    schien mir oder Daddy die Schuld für das Wetter auf den
    Aleuten zu geben, immer vorausgesetzt, er sagte, was Daddy
    anging, die Wahrheit und log nicht das Blaue vom Himmel
    herunter. Seine roten Lippen flatterten. Sie zogen und woben
    Speichelfäden.
    »Kalt, kalt, kalt«, sagte er. »Das Öl da oben wird zu
    Erdnußbutter. Man braucht Lötlampen, um die
    Bombertriebwerke aufzutauen. Wenn die Gischt über die
    Scheibe der Kanzel geht, dann sieht man wie durch
    Bergkristall. Ein Tropfen von dem Hochoktansprit auf der
    Haut – wenn du so dämlich bist, sie offen mit dir rumzutragen
    – und du kriegst ‘ne Blase so groß wie ‘ne Walnuß. Kapierst
    du?«
    »J-J-Jawoll, Sir.« Was war daran zu kapieren?
    »Einmal, da seh ich, wie die Augenlider von deinem Alten
    zufrieren. Hab ihn in der Wellblechbaracke aufs Feldbett
    gestreckt, Gesicht nach unten zwischen Streben und Gurten.
    Dann hab ich ihm ‘ne Tasse heißen Kaffee unter die Augen
    gehalten. Hab immer gesagt ›Laß die Hände weg, wenn du
    nicht zeitlebens mit ‘nem Finger rumlaufen willst, der am
    Augapfel klebt!‹ Geht das in deinen Kopf, Kleiner?«
    Ich nickte. Und zwar tüchtig.

    »Ich will damit nur sagen, wie gut ich deinen Papa kannte,
    Boles«, sagte Sergeant Pumphrey. »Du siehst ihm ähnlich.
    Wenn du erst die Ohren eingeholt hast, könnte man dich glatt
    für

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