Brüchige Siege
Bereich mit höheren Stengeln, ein
Dickicht aus belaubten Speeren. Das Liebespaar verschwand
darin wie Hänsel und Gretel im Zauberwald. Henry ließ sich
zwischen den Malvenstengeln nieder, und Miss Giselle
kuschelte sich in seinen Schoß.
»Und warum hast du mich hierhergebracht?« sagte Henry.
»Um deine Glut zu schüren«, sagte Miss Giselle. »Vergiß das
ganze Wenn und Aber. Schau dir den Eibisch an und lies
meine Gedanken.«
Ich rückte auf. Die Okrablätter erschauerten. Das
angeknabberte Profil des Mondes verzinnte die Stengel und die
platzenden Fruchthülsen. Die Schoten standen hoch oder
querab, wie angespitzte ›Ständer‹. Hätten Kobolde die Größe
und die Heißblütigkeit von Menschen gehabt, dann hätten so
ihre Penisse ausgesehen: ein Hain aus zarten silbergrünen
Pimmeln.
»Alt ist mein Wunsch, mich von animalischen Trieben zu
befreien«, sagte Henry. »Bis du auftauchtest, war ich der
Meinung, es sei mir gelungen.«
»Tja, ich hege den Wunsch, mich ihnen zu unterwerfen.
Bitte, laß nicht zu, daß ich durch feige Skrupel in meiner
trostlosen Ehe verkomme.«
»Suchst du Rache wegen Untreue und Vernachlässigung?«
»Das auch. Aber was ich suche, hat mehr noch mit… mit
Halten und Gehaltenwerden zu tun. Ich will in deinen Armen
verreisen – an Orte, wo ich schon so lange nicht mehr war.«
»Ich bin ein Monstrum. Ein Zerrbild. Die Laune eines
gequälten, vermessenen Mannes.«
»Henry, du bist schön.«
»Ein Kompliment, das ich dir machen sollte.«
»Deine Hände tun es. Sie sind wie Worte.«
»Auch wenn meine Lippen ›Keriak!‹ rufen?«
»Ruf, was du willst. Darf ich es einem Mann verübeln, daß
sein Herz noch immer an seinem verstorbenen Eheweib
hängt?«
»Nein. Aber diesem Betrug müssen wir ein Ende machen,
diesem Verrat an Mister JayMac und unserem Gewissen.«
»Diesem süßen Betrug. Sagen wir es so.«
»Quäle mich nicht. Necke mich nicht, laß die
Wortklauberei.«
»Pscht. Sieh mal.« Miss Giselle langte nach einem
Okrastengel.
»Nicht. Das Jucken ist unausstehlich.« Er meinte die
kratzigen Haare der Okraschote.
»Dafür habe ich dich. Hier.« Miss Giselle pflückte eine
Schote, die mehrere Zoll lang war. »Kizzy oder Euclid oder
einer von euch hätte sie längst pflücken sollen. Sie sind –
anders als du – am zartesten, wenn sie kleiner sind. Die hier hat eine hornige Schale.«
Henry nahm die Schote und schleuderte sie fort. Sie wirbelte
durch den Okrahain und streifte mich am Hals. Ich tastete nach der kribbelnden Stelle und duckte mich tiefer an den Boden.
»Magst du Gumbo?« sagte Miss Giselle. »Den klaren, süßen
Schleim der Schoten? Der so dick und so lebendig ist?« Sie
saß auf Henrys Knie und küßte ihn auf die Stirn.
»Aber wir machen es nicht richtig«, flüsterte Henry. »Mein
Sperma ist steril und dein Schoß nicht minder.«
»Wir machen einander glücklich.« Miss Giselle rückte sich
zurecht, so daß ihre Hände auf seinen Schultern lagen, und ihre Hüften hoben und senkten sich zu einem ungezwungenen
Rhythmus. Die Scham pochte mir das Herz aus dem Leib.
»GOTT!« rief Henry. Mir war, als müsse der Donnerschlag McKissic House erschüttern und die Kameraden
ausschwärmen lassen, um herauszufinden, was da passiert war.
Ich wagte nicht, mich zu rühren. Für Henry wär ich das
Trüffelschwein, und Miss Giselle würde dafür sorgen, daß ich
aus dem Team flog.
Nach einer Weile bewegten sie sich wieder, Krinoline an
Baumwolle. Ich umarmte die Erde.
»Bring mich in die Wohnung von Darius. Du kannst mich
jetzt nicht allein lassen.«
»Aber das Risiko, entdeckt zu werden. Der Skandal, die
Schande…«
»Jetzt gleich, Henry. Jetzt!«
Henry las Miss Giselle auf. Er trug sie aus dem Okrahain und
querbeet durch Mais, Tomaten, Kürbisse, Bohnen, Wicken und
Gurken auf die Garage des Bombers zu – in das Zimmer
darüber, in dem der uneheliche Sohn ihres treulosen Gatten
gehaust und mit seinem Schicksal gehadert hatte.
Kaum waren sie fort, da pirschte ich zur Feuertreppe zurück.
Zwei Stunden später kam Henry zu Bett. Ich tat, als ob ich
schliefe. Doch eine Stunde oder länger saß er noch auf der
Matratze, die Arme um die Knie geschlungen, ein grauer
Koloß in der engen und feuchtheißen Mansarde.
53
BEIM BASEBALL VERGASS MAN DEN KRIEG. Unterwegs im
Braunen Bomber las man Zeitung und redete darüber. Seit ich
wußte, daß mein Dad auf den Aleuten gefallen war, horchte ich
auf, wenn es
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