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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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schmutziger aus denn je,
    verschwitzter und zerlumpter – so wie jeder andere hätte

    aussehen können, den man trotzdem ins Haus ließ. Die
    Schwester machte ein Gesicht, als habe sie eben ihre gute Tat
    für heute abgehakt.
    »Was ist los, Euclid?«
    »He, Danbo. Hab’n Brief für dich.«
    »Wo?« Ich sah keinen Brief. Euclid trug die Hände überkreuz
    wie ein entlaufener und wieder eingefangener Sträfling in
    Handschellen.
    »Hier.« Euclid zog ein flaches gelbbraunes Päckchen aus
    dem fleckigen Baumwollhemd und stieß mir beinah ins Auge
    damit. Ich nahm es ihm aus der Hand. Er blickte beiseite – an
    die Decke, in eine Ecke, auf das Fußende des Bettes.
    »Von wem ist der?« Ich besah mir die Handschrift auf dem
    Manilapapier: Daniel Boles. Und wußte gleich, wer den Brief geschrieben hatte. »Henry«, sagte ich.
    »Klaro. Mister Jumbo sagt, dir geben. Ich gekommen. Jetzt
    gehen. Bye.«
    Euclid lief aus dem Zimmer. Ich machte das Päckchen auf
    und breitete die Seiten auf meinem Schoß aus.

    57

    ICH SCHREIBE DIR UNTER ERSCHWERTEN Bedingungen, Daniel,
    denn ich muß mich sowohl um eine angemessene
    Ausdrucksweise bemühen als auch darum, Handlungen zu
    rechtfertigen, die andernfalls grotesk, wenn nicht monströs erscheinen würden. Doch in dem, was ich getan habe, erkenne ich, ungeachtet ihrer Mißgestalt und Entstellung, eher die Früchte meiner edleren Regungen – zu ihnen zählen Güte,
    Rücksichtnahme und Liebe – als die eines bloß destruktiven Egoismus. Indem ich zuließ, daß meine vornehmeren
    Neigungen in einem Fall durch brutale Gewalt entstellt
    wurden, habe ich schwer gefehlt. Doch in dem anderen Fall
    wollte ich lediglich der Gerechtigkeit und der bestehenden Gesellschaftsordnung dienen und nicht dem Unheil und
    seelischer Not Vorschub leisten.
    Als Dich die Ambulanz zum County Hospital brachte, Daniel, begab ich mich zu Fuß nach McKissic House und duschte. Von Musselwhite erfuhr ich, wie ernst Deine Verletzungen waren: Du würdest mich nicht nach Philadelphia begleiten – ja, Du würdest nie wieder professionellen Baseball spielen. Diese Nachricht erzeugte eine freudlose Lethargie in mir – den
    Blues, wie Darius meine seelische Verfassung bezeichnet hätte
    – und noch etwas: einen heftigen Zorn, den Nachfahren jener Wut, die ich als das zurückgewiesene Machwerk von Victor
    Frankenstein nur zu oft hatte erleben müssen.
    Zwei Stunden lang hielt meine Mattigkeit meinen Ingrimm in Schach; dann, eingedenk Deiner so grausam enttäuschten
    Liebe zu unserem Sport, rief ich mir ins Gedächtnis zurück, daß Du – so wie Michelangelo gesagt haben soll: ›Ich bin nur guter Dinge, wenn ich einen Meißel in der Hand habe‹ –, daß Du einmal behauptet hast, Du fühltest Dich erst lebendig,
    wenn Du einen Baseballhandschuh trägst oder ein Schlagholz in den Händen spürst.
    Dieser Gedanke trieb mich aus dem Bett. Es ist gut möglich, daß ich wie ein Wolf geheult habe. Ich verließ die stille, heiße Mansarde von McKissic House. Ich mied die fragwürdige
    Orgie meiner Kameraden (Männer, die zum Teil mehr
    Begeisterung über unseren Sieg zeigten als Betroffenheit über Dein Schicksal) und lenkte meine Schritte durch das Zwielicht zur Cotton-Creek-Street und dem Schindelbrettheim von Linda Jane Hoey und ihren vier Kindern. Mir war eingefallen, daß Ligonier Hoey, im Gegensatz zu anderen Gendarmes, ein
    hiesiges Zuhause hatte, wohin er sich zurückziehen konnte.
    Dort würde ihn sein Weib erwarten und über die Niederlage
    im Kampf um den CVL-Wimpel hinwegtrösten und ihn unter
    Lachen und Küssen von jeglicher Mitschuld an Deiner
    Verkrüppelung lossprechen. Das Bild, das ich mir von dieser trauten Szene machte, die so zärtlich und so ungerecht war, häufte bündelweise Reisig auf meinen Zorn.
    Während meine Füße ausholten, sprangen Hunde aller Art –
    Spaniels, Blueticks, Bastarde mit Nagetiergesichtern – von ihren Veranden, um ihre schäbigen Areale zu verteidigen und mir den Weg zu vergällen. Ich ging achtlos weiter und
    bereitete mich innerlich auf einen Mann-gegen-Mann-Kampf
    mit dem Schurken vor, der mir einmal Kamerad und Freund
    gewesen war. Als ein dunkelbrauner Jagdhund die Frechheit
    aufbrachte, nach meiner Ferse zu schnappen, riß ich ihn am Nackenfell vom Boden und schleuderte den Winselnden in ein Rudel gleichgesinnter Hunde, das mir entlang einer Phalanx aus Stechpalmen folgte. Der Köter landete mitten unter seinen Artgenossen, die knurrend und zähnefletschend

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