Brüchige Siege
ich.«
»Phoebe«, sagte Miss LaRaina müde.
»Mama hat sich gebessert, mein Lieber. Sie konsultiert jetzt
diesen richtig süßen Nußlöffel von der Army draußen im
Camp.«
Nußlöffel?
»Phoebe«, sagte Miss LaRaina wieder.
»Na ja, er hat geholfen – dein freundlicher Kopfdoktor hat
geholfen. Er hat es fertiggebracht, daß du dich entspannst, daß du über Daddy und mich nachdenkst, und daß du dich ein
wenig mehr deinem Heim widmest.«
»Ich habe nie nicht an euch gedacht, Phoebe. Aber ich habe vermutlich mehr an mich gedacht und die entsetzlich
ungerechte Platzverteilung in diesem furchtbaren Krieg.«
Ungerechte Platzverteilung?
»Aber das will Danny doch nicht hören«, sagte Miss
LaRaina. »Wir sind gekommen, um ihn aufzumuntern, sein
Leid zu teilen, und nicht um eine rührselige Episode von
›Captain Pharrams Familie‹ aufzuführen.« Sie schnippte eine
Lucky Strike aus der Packung. »Was dagegen, wenn ich
rauche, Danny? Es beschäftigt meine Hände und zwirbelt
meine ausgefransten Nerven zusammen.«
»Wenn ich auch eine kriege«, sagte ich.
Phoebe nahm eine Zigarette ihrer Mutter, steckte sie mir
zwischen die Lippen und gab mir Feuer. Ich badete meine
Lungen im Rauch und blies einen ganzen Stapel wabernder
Donuts in die Luft. Das plötzliche Hochgefühl, das mir der
Lungenzug vermittelte, das Gefühl zu schweben, ließ mich für
kurze Zeit das Pochen in der Hüfte und den Brand in der Leiste vergessen. Tabak ist Opium fürs Volk.
»Wie kommt es, daß Mister JayMac noch nicht hier war?«
Das Schweigen, das Phoebe und ihre Mama verbreiteten,
toste wie die Niagarafälle.
»Na, wie viele topplastige Schwestern waren denn hier und
haben dich in den Po gepiekst?« fragte Phoebe unvermittelt.
»Fünf oder sechs. Die geben sich die Klinke in die Hand. Ich
hab aufgehört mit Zählen.«
»Phoebe«, sagte Miss LaRaina müde.
»Ach, komm Mama. Dein Doktor hat nicht gesagt, du sollst
dich an die Kirchenbank ketten. Nur Verantwortung sollst du
zeigen.«
»Phoebe, ich fände es besser…«
Ich blies einen Rauchring und fiel ihr ins Wort: »Wieso hat
mich Mister JayMac noch nicht besucht?«
Phoebe und ihre Mama zogen wieder ihre Raus-mit-dem-
Schweigen-Nummer ab. So wie Mariani, wenn er eine
Spaghetti um die Gabelzinke wickelte, so wickelte Phoebe
meine Stirnlocke um den Finger. Die Asche an Miss LaRainas
Zigarette wuchs inzwischen wie Pinocchios Nase. Ich wartete.
»Wir haben einen unerwarteten Verlust zu beklagen«, sagte
Miss LaRaina. »Danny, du mußt wissen, Miss Giselle ist tot.
Sie ist entweder ganz spät in der Nacht oder sehr früh heute
morgen gestorben.«
»Himmel. Hat Mister JayMac sie erschossen?« (Weil sie Frye
das mit den Phillies gesteckt hatte? Wegen ihres sündigen
Techtelmechtels mit Henry? Und wenn letzteres, wie war
Mister JayMac dahintergekommen?)
»Ah-ah«, sagte Phoebe. »Miss Giselle hat sich selbst
umgebracht.«
»Wie? Warum?« Vielleicht kannte ich ja die Antwort auf
mindestens eine der Fragen, aber ich brauchte eine
Bestätigung. Nein, ich brauchte das Gegenteil, ein Lüge, die
sagte, daß mein Zimmerkamerad unschuldig war. Jetzt
dämmerte mir auch, wieso Phoebe und Miss LaRaina jedesmal
diesen Anfall von Stummheit erlitten hatten, wenn ich die
Sprache auf Miss Giselle gebracht beziehungsweise nach
Mister JayMac gefragt hatte. Jemand hatte ihnen geraten, mir
nach Dr. Nesheims Hiobsbotschaften nicht auch noch diese
zuzumuten.
»Was ist mit Henry? Geht es ihm gut?«
Wieder wechselten Phoebe und ihre Mama diesen stummen
Auweia-Blick.
»Was ist mit ihm?« wollte ich wissen.
»Ihm geht es gut«, sagte Miss LaRaina rasch. »Eigentlich
ganz gut, doch.«
»Ah-ah«, sagte ich. »Das hab ich nicht verdient. Raus mit der
Sprache.«
»Hör ihn dir an, Mama«, sagte Phoebe. »Er stottert nicht
mehr, er ist fast völlig geheilt.«
»Phoebe, entweder ›fast‹ oder ›völlig‹, aber nicht beides«,
sagte ich.
»Tja, du hast recht«, sagte Miss LaRaina. »Er redet schon wie
Demosthenes.« Sie staunten mich an.
»Ich will wissen, was mit Henry los ist. Spuckt es aus!«
Miss LaRaina sagte: »Als er hörte, wie schlimm Buck Hoey
dich verletzt hat, da ist er fort und hat seinen Kummer in
Alkohol ertränkt.«
»Gestern war Sonntag«, sagte ich. »Und Henry trinkt nicht.«
»Normalerweise nicht«, sagte Miss LaRaina. »Aber diese
Sache mit dir hat ihn fix und fertig gemacht, und ich kenne
keinen Hellbender, der, wenn er
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