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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Fütterung der Raubtiere.«
    »Also was wirst du tun?«
    »Was ich muß.« Henry hob den Kopf. »Weitermachen.
    Immer so weitermachen.«

    »Stelle dich der Polizei. Dann ist der Gerechtigkeit Genüge
    getan.«
    »Gerechtigkeit? Ihrer zynischen und selbstherrlichen
    Verleugnung verdanke ich meine Existenz.«
    »Es gibt Gerechtigkeit. Wir haben den Wimpel geholt, oder
    etwa nicht? Du und ich, wir wurden zu den Phillies gerufen.«
    Henry starrte mich an, als hätte ich eben vorgeschlagen, den
    Krieg durch ein Telegramm zu beenden, das den Japsen das
    Hafermehlplätzchengeheimrezept meiner Mama verriet. Dann
    lächelte er – glaube ich – und schüttelte den Kopf.
    »Daniel, der elektrische Stuhl würde mich bloß
    wiederaufladen. Deine Spezies hat mich mein erstes Leben
    lang verstoßen und gequält. Sie ist mir eines schuldig, findest du nicht?«
    Er pickte sich Weißdornnüßchen aus einer Steingutschale.
    Ich knackte ein paar frühe, wilde Pekannüsse, die wir
    gesammelt hatten. Draußen hallte der Schrei einer
    schaudernden Zwergohreule über den leeren Kanal des
    Tholocco. Henry zog den linken Schuh aus und legte ihn mit
    der Sohle nach oben neben die Steingutschale.
    Ich hob die Augenbrauen.
    »Um Übel abzuwehren, die sich sonst unweigerlich
    einstellen«, sagte er. »Ich habe ein Recht auf meinen
    Aberglauben.«

    Freitag früh stand ich mit Krücken auf der Straße, den Seesack zu Füßen, und Henry wartete in einem nahen Fichtengehölz.
    Es war hellichter Tag, und ich verstand sehr gut, daß er hier nicht den Sasquatch machen wollte. Ich wartete darauf, daß
    mich jemand nach Troy mitnahm. In Troy wollte ich den Zug
    von Highbridge abpassen und bis Memphis fahren, wo ich

    dann umsteigen mußte in den Zug, der mich durch Arkansas
    nach Oklahoma bringen würde.
    ∗
    Ich trug ein Pappschild mit TROY OR BUST um den Hals
    und einen stoischen Ausdruck im blutjungen Farmergesicht.
    Das Verbot von Vergnügungsfahrten und das rege Ausbleiben
    von Automobilen jeglicher Art ließen bei mir den Gedanken
    reifen, das Ziel auf Krücken und Schusters Rappen anzugehen,
    aber endlich kam aus Südost ein Lkw auf mich zugewalzt –
    vollgestapelt, wie mein Glück es wollte, mit Dutzenden von
    Lattenkisten, in denen es vor Küken wimmelte. Der Fahrer –
    ein Mann mittleren Alters – fuhr an den Straßenrand und
    winkte mich auf den Beifahrersitz. Er sah die Krücken und
    kletterte heraus, um mir behilflich zu sein.
    »Bist du’n verwundeter Soldat, Kleiner?«
    Sein Haar, das die Farbe frischer Donuts hatte, war zu einer
    fettigen Tolle hochgekämmt, und an dem schäbigen
    Nadelstreifenhemd fehlten die obersten zwei Knöpfe. Er hatte
    die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, wo die
    umgeschlagenen Manschetten ein bißchen was von einem
    Raumanzug hatten. Ich wollte nicht lügen, also log ich, um
    nicht lügen zu müssen, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich
    tippte an meinen Kehlkopf und hob eine Krücke auf Zwanzig-
    vorzwölf.
    »Okay, dann man rauf mit dir.«
    Wir orgelten los, über uns hing wie ein unsichtbarer
    Baldachin der Gestank der zum Tode verurteilten Küken. Bald
    wußte ich, wie der Mann hieß, für wen er arbeitete, wie viele
    Kinder er hatte und wieviel Respekt vor jungen Burschen wie
    mir, die ihr Leben und ihre Knochen hinhielten im Kampf
    gegen die Nips und die Hunnen. Bis wir Troy erreichten, hatte
    er für mich eine Truppeneinheit erfunden sowie ein bis zwei

    ∗ Troy (eines von etlichen Trojas in den USA) ist hier eine Stadt in Süd-Alabama; die Aufschrift heißt soviel wie TROY ODER ÜBERFAHREN

    romantische Feindberührungen und fünf oder sechs heroische
    Verwundungen und einen treuen Schatz zu Hause in… na ja,
    wo auch immer ich herkam.
    Er fuhr mich anstandslos zum Bahnhof. Er half mir heraus,
    trug den Seesack hinein und schüttelte mir am
    Fahrkartenschalter feierlich und im Löschpumpen-Takt die
    Hand. Als er losließ, klebte mir ein Dollar im Handteller.
    »Keiner kann euch das gutmachen, Kleiner, aber das, na ja,
    nimm das als… danke. Okay?«
    Ich nickte.
    Die Züge von Troy nach Memphis und von Memphis nach
    Oklahoma wimmelten von jungen Burschen in Uniform. Ich
    trug Zivil, und alle an Bord nahmen natürlich an – was im
    wesentlichen auch stimmte – daß ich mich beim Schulbaseball
    verletzt hatte und nicht etwa in einem Trainingscamp von
    Georgia oder auf einem Schlachtfeld in Europa. Mithin
    ignorierten mich die Rekruten, und ich schätzte mich
    dessenthalben glücklich, ja

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