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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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dem Diwan neben Euclid ein, der sich
    mit Hilfe eines Kissens so nah wie möglich ans Steuer
    staffierte.
    Sie können sich vorstellen, daß ein vierzehn Jahre alter
    Chauffeur nicht dazu angetan war, meinem Vertrauen in
    Henrys Fluchtplan Auftrieb zu verleihen.
    Euclid setzte rückwärts um McKissic House herum – nicht
    am Wagenschuppen vorbei, sondern andersherum – dann fuhr

    er geradewegs durch die Innenstadt auf den Brückenschlag aus
    Stahl und Beton zu, dessentwegen Highbridge Highbridge
    hieß. Zu meiner Überraschung machte Euclid seine Sache gut
    und schlingerte kaum. Er ließ sich von Henry sagen, wo er
    abbiegen und wie schnell er fahren sollte, und auf dem ganzen
    Siebzig-und-ein-paar-gequetschte-Meilen-Trip ins östliche
    Alabama fuhren wir nie schneller als dreißig Meilen die
    Stunde.
    Wegen des Platzregens und der kriegsbedingten
    Geschwindigkeitsbegrenzung dauerte es bis zu unserem
    Bestimmungsort – der nicht Henrys Zuhause, sondern sein
    Versteck und Schrein war – geschlagene drei Stunden. Euclid
    brauchte noch einmal so lange, um den Studebaker wieder bei
    seiner Mama abzusetzen. Und falls die Highway-Streife – eine
    ziemlich nervöse Crew angesichts der ganzen
    Verkehrsauflagen – ihn anhalten und nach dem Führerschein
    fragen sollte, fing er sich bestimmt eine Tracht Prügel ein,
    derzufolge sein knochiger brauner Hintern so violett wie eine
    Aubergine sein würde.
    »Da!« bellte Henry nach gespenstischer und
    nierenerschütternder Fahrt. »Anhalten, Euclid!«
    Euclid hielt an. Alles, was ich in dem nieselnden Drei-Uhr-
    dreißig-früh-Regen ausmachen konnte, war nasses Weideland,
    die eine oder andere Fichte und ein höckeriges Netz aus
    rötlichen Abzugsgräben zwischen der Straße und einem Feld
    voller Wildwuchs.
    »Hübsch«, sagte Euclid. An diesem nicht eben
    vielversprechend aussehenden Straßenbuckel setzte er uns an
    die Luft. »Benehmt euch, klaro?«

    60

    HENRY SCHLUG SICH INS GEBÜSCH am Straßenrand:
    Brombeerreben, Kermesbeeren, Mimosensämlinge, all die
    namenlosen stacheligen Sträucher, die an deinen Ärmeln
    zerren und kampfkeulenähnliche Kletten ausschicken, die sich
    als blinde Passagiere an deine Socken heften. Der Regen hatte
    gottlob nachgelassen, doch die Schuhe versanken – nicht selten mit einem vernehmlichen Schmatzer – in der tückischen
    Allianz aus Pflanzenmulch und dem schmierigen Nudelbrei-
    Lehm von Alabama. Ich hatte ja nicht alle Tassen im Schrank,
    mich mit Krücken auf dieses Schachbrett aus Pflanzenmus und
    ausgestochenen Wasserrinnen einzulassen. Ich hatte ein
    Eisenbahnticket nach Oklahoma in der Tasche – wieso also
    hatte ich mich von Henry in diese gottverlassene Gegend
    verschleppen lassen?
    »Wo gehen wir hin, Henry? Henry!«
    Er kämpfte sich bloß voran, ein getriebenes aufrechtes
    Bündel an urwüchsiger Energie – wie ein Bär oder ein
    Sasquatch oder eine verrückte halbmenschliche Ausgeburt
    dieses Fleckens Erde. Der Sprühregen vergraulte alle
    geflügelten Quälgeister, doch mir fehlte die Zeit, mich über
    ihre Abwesenheit zu freuen, weil ich ständig aufpassen mußte,
    nicht knöcheltief einzusinken.
    »HENRY!«
    Er sah über die Schulter. »Ein trockener Seitenkanal des
    Tholocco-Creek – unser Ziel. Wir sind fast da.«
    Der ›trockene‹ Seitenkanal führte, wie sich herausstellte,
    Wasser – nicht soviel wie ein Wildbach, aber genug zum
    Wassertreten.

    Jedenfalls platschten wir mit schmatzenden Schuhen am
    Grund dieser tiefgeschnittenen Rinne bis zu Henrys Versteck:
    einem Erdhaus in der Uferböschung eines ausgetrockneten
    Bachs. Wenn dieser Unterschlupf früher einmal eine kleine
    Höhle gewesen war, dann hatte Henry sie in den letzten zwei
    Jahren gründlich erweitert und mehrere Kammern in das rote
    Erdreich gegraben. Außerdem hatte er den bachseitigen
    Zugang mit wilder Azalee, Weißdorn und Fichtenzweigen
    getarnt. Weißdornkügelchen trieben auf der
    Oberflächenströmung davon. Wir wateten in den überfluteten
    Eingang und richteten das feuchte Laubwerk wieder, das wir
    beiseitegeschoben hatten. Eine zweite Kammer lag höher und
    trockener, und in ihr verbrachten wir beim Schein von
    Kaffeebüchsenlaternen fast die ganze restliche Nacht.
    Henry saß mit dem Rücken an der Wand, die Knie bis unters
    Kinn gezogen. Ich saß, die Krücken quer vor meinen Füßen,
    fröstelnd auf dem Seesack.
    »Warum habe ich dich hierher in diese naßkalte
    Abgeschiedenheit gebracht?« sagte Henry. »Ich würde mich
    nicht

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