Brüchige Siege
wenig daran ändern, wie Gott
ihn ausstattet«, sagte Mister JayMac.
»Eine Frau auch nicht«, sagte Miss LaRaina. »Und trotzdem
versucht sie es.« Sie sah mich unverwandt an. Als ob ich der
Schlüssel zu Jumbo Hank Clervals Geheimnis sei. Ich konnte
mir zunutze machen, was ich über ihn wußte. Nur daß ich
nichts wußte. Ich konnte mir nicht mal einen Reim auf
Fadeaway Ankers machen, geschweige denn auf meinen
brütenden intellektuellen Riesentölpel von Zimmergenossen.
Entgegenkommend schrieb ich: Er ist Vegetarier. Er
schnarcht. Er hat mir das Notizbuch geschenkt. (Vegetanier –
als stamme er von Vegetania, dem Planeten irgendeines
verrückten Flesh-Gordon-Universums.)
Mister JayMac, Miss LaRaina und Phoebe lachten, und der
Flüchtigkeitsfehler machte mich kopfscheu. Ab sofort wollte
∗
ich nur noch dasitzen wie Tarbaby – stumm und wortlos. Ich
gab Mister JayMac den Füller zurück. Miss LaRaina nahm
keine Notiz.
»Wenn man ihn küssen würde, was meinst du, wie er sich
anfühlt?« sagte sie.
Phoebe reagierte, als habe ihr jemand einen Stromstoß
verpaßt. Das Tafelsilber klirrte, die Gläser bebten. Phoebe lief rot an. Wut? Scham? Ein Cocktail aus beidem?
»Mama!« schrie sie. »Das ist ekelhaft!«
»Wieso? Weil Mr. Clerval nicht aussieht wie Clark Gable?«
Phoebe hielt den Blick gesenkt. »Nein, Mama. Dein Mann ist
im Krieg in Europa.«
»Meine Güte, Kleines, ich habe rein hypothetisch
gesprochen. Kein Grund, gleich den Tisch umzuwerfen. Was
meinst du, Daniel: Ist es schlimm, wenn sich eine verheiratete Frau die hypothetische Frage stellt, wie es wäre, wenn sie
einen anderen Mann küßt?«
∗ Tarbaby rekurriert auf Joel Chandler Harris (1848-1908), einen Schriftsteller aus Georgia, der u. a. bekannt wurde durch die Neger-Geschichten, die er Uncle Remus in den Mund legte; Tarbaby ist eine mit Teer beschmierte Puppe, mit deren Hilfe Brer Fox den Brer Rabbit fangen will (brer = brother) – meint auch ein Problem, das nur noch komplizierter wird, wenn man es zu lösen versucht.
Mister JayMac sagte: »Ich will mal so sagen, La Raina, es
nicht so schlimm aber ziemlich unvernünftig. Der Gedanke
nimmt die Tat vorweg.«
»Häufig ist sie die Folge«, sagte Miss LaRaina. »Ich spreche
aus Erfahrung – und Beobachtung.«
»Entschuldigt mich«, sagte Phoebe. Sie stand vom Tisch auf
– stieß den Stuhl beinah hintenüber – und lavierte durch einen Dschungel aus prächtig gedeckten Tischen zur
ausgeschilderten Toilette. Das Chamberlain-Zimmer hatte sich
inzwischen mit Gästen gefüllt. Der Geräuschpegel war so
hoch, daß man über die Bomberproduktion in Marietta*
schwadronieren konnte, ohne eine Verwarnung von einem
OSI* in Zivil zu riskieren. Während des Krieges mußte man
auf Andrang gefaßt sein. Lichtspieltheater, Bistros und
Restaurants hatten Hochbetrieb. Die Leute hatten Geld und
brauchten Zerstreuung.
»Phoebe ist furchtbar empfindlich heute abend«, sagte Miss
LaRaina. Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Sie liebt ihren Daddy«, sagte Mister JayMac.
»Das tue ich auch.« Der Rauch wirbelte ihr verträumt um
Gesicht und Schultern. Die grünen Augen darin waren mal
schattig und mal so hell und hart wie Stechpalmenblätter.
»Ja«, sagte Mister JayMac. »Die Frage ist nur, wie eifrig.«
Das brachte Miss LaRaina in Rage. »Mein Gott, Onkel, ich
bin immer noch Schriftführerin im Officers’ Wives’ Club in
Camp Penticuff. Ich bin Vorsitzende von zwei verschiedenen
Spendenkomittees des Highbridge Women’s Club. Ich habe dir
geholfen, die letzten drei Kriegskampagnen im Stadion zu
organisieren. Ich lese Bücher. Ich gehe ins Kino. Ich schreibe Luther fröhliche Briefe. Und ich bin Mutter.«
»Hab ich nicht vergessen. Und du solltest es auch nicht.«
Miss LaRaina blies eine Rauchwolke, die aussah wie der
dienstbare Geist aus Aladins Wunderlampe. Bring mich hier
raus, flehte ich. Miss LaRaina fiel meine Zappeligkeit auf.
»Dein allwissender Boss hält mich für eine nachlässige
Mutter, Daniel.«
»Nein, LaRaina«, sagte Mister JayMac. »Was ich…«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Er befürchtet allen Ernstes, ich könnte ein… ein schlechtes Vorbild sein. Hab ich recht, Onkel?«
»Die Zeit ist aus den Fugen, LaRaina. Das Klima ist freizügig
und zugleich moralisierend. Um deinet- und Phoebes willen,
du solltest bedacht sein, daß dein Ruf als Ehefrau und Mutter
über jeden Zweifel erhaben bleibt.«
∗
»Aha«, sagte Miss
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