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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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wenig daran ändern, wie Gott
    ihn ausstattet«, sagte Mister JayMac.
    »Eine Frau auch nicht«, sagte Miss LaRaina. »Und trotzdem
    versucht sie es.« Sie sah mich unverwandt an. Als ob ich der
    Schlüssel zu Jumbo Hank Clervals Geheimnis sei. Ich konnte
    mir zunutze machen, was ich über ihn wußte. Nur daß ich
    nichts wußte. Ich konnte mir nicht mal einen Reim auf

    Fadeaway Ankers machen, geschweige denn auf meinen
    brütenden intellektuellen Riesentölpel von Zimmergenossen.
    Entgegenkommend schrieb ich: Er ist Vegetarier. Er
    schnarcht. Er hat mir das Notizbuch geschenkt. (Vegetanier –
    als stamme er von Vegetania, dem Planeten irgendeines
    verrückten Flesh-Gordon-Universums.)
    Mister JayMac, Miss LaRaina und Phoebe lachten, und der
    Flüchtigkeitsfehler machte mich kopfscheu. Ab sofort wollte
    ∗
    ich nur noch dasitzen wie Tarbaby – stumm und wortlos. Ich
    gab Mister JayMac den Füller zurück. Miss LaRaina nahm
    keine Notiz.
    »Wenn man ihn küssen würde, was meinst du, wie er sich
    anfühlt?« sagte sie.
    Phoebe reagierte, als habe ihr jemand einen Stromstoß
    verpaßt. Das Tafelsilber klirrte, die Gläser bebten. Phoebe lief rot an. Wut? Scham? Ein Cocktail aus beidem?
    »Mama!« schrie sie. »Das ist ekelhaft!«
    »Wieso? Weil Mr. Clerval nicht aussieht wie Clark Gable?«
    Phoebe hielt den Blick gesenkt. »Nein, Mama. Dein Mann ist
    im Krieg in Europa.«
    »Meine Güte, Kleines, ich habe rein hypothetisch
    gesprochen. Kein Grund, gleich den Tisch umzuwerfen. Was
    meinst du, Daniel: Ist es schlimm, wenn sich eine verheiratete Frau die hypothetische Frage stellt, wie es wäre, wenn sie
    einen anderen Mann küßt?«

    ∗ Tarbaby rekurriert auf Joel Chandler Harris (1848-1908), einen Schriftsteller aus Georgia, der u. a. bekannt wurde durch die Neger-Geschichten, die er Uncle Remus in den Mund legte; Tarbaby ist eine mit Teer beschmierte Puppe, mit deren Hilfe Brer Fox den Brer Rabbit fangen will (brer = brother) – meint auch ein Problem, das nur noch komplizierter wird, wenn man es zu lösen versucht.

    Mister JayMac sagte: »Ich will mal so sagen, La Raina, es
    nicht so schlimm aber ziemlich unvernünftig. Der Gedanke
    nimmt die Tat vorweg.«
    »Häufig ist sie die Folge«, sagte Miss LaRaina. »Ich spreche
    aus Erfahrung – und Beobachtung.«
    »Entschuldigt mich«, sagte Phoebe. Sie stand vom Tisch auf
    – stieß den Stuhl beinah hintenüber – und lavierte durch einen Dschungel aus prächtig gedeckten Tischen zur
    ausgeschilderten Toilette. Das Chamberlain-Zimmer hatte sich
    inzwischen mit Gästen gefüllt. Der Geräuschpegel war so
    hoch, daß man über die Bomberproduktion in Marietta*
    schwadronieren konnte, ohne eine Verwarnung von einem
    OSI* in Zivil zu riskieren. Während des Krieges mußte man
    auf Andrang gefaßt sein. Lichtspieltheater, Bistros und
    Restaurants hatten Hochbetrieb. Die Leute hatten Geld und
    brauchten Zerstreuung.
    »Phoebe ist furchtbar empfindlich heute abend«, sagte Miss
    LaRaina. Sie zündete sich eine Zigarette an.
    »Sie liebt ihren Daddy«, sagte Mister JayMac.
    »Das tue ich auch.« Der Rauch wirbelte ihr verträumt um
    Gesicht und Schultern. Die grünen Augen darin waren mal
    schattig und mal so hell und hart wie Stechpalmenblätter.
    »Ja«, sagte Mister JayMac. »Die Frage ist nur, wie eifrig.«
    Das brachte Miss LaRaina in Rage. »Mein Gott, Onkel, ich
    bin immer noch Schriftführerin im Officers’ Wives’ Club in
    Camp Penticuff. Ich bin Vorsitzende von zwei verschiedenen
    Spendenkomittees des Highbridge Women’s Club. Ich habe dir
    geholfen, die letzten drei Kriegskampagnen im Stadion zu
    organisieren. Ich lese Bücher. Ich gehe ins Kino. Ich schreibe Luther fröhliche Briefe. Und ich bin Mutter.«
    »Hab ich nicht vergessen. Und du solltest es auch nicht.«

    Miss LaRaina blies eine Rauchwolke, die aussah wie der
    dienstbare Geist aus Aladins Wunderlampe. Bring mich hier
    raus, flehte ich. Miss LaRaina fiel meine Zappeligkeit auf.
    »Dein allwissender Boss hält mich für eine nachlässige
    Mutter, Daniel.«
    »Nein, LaRaina«, sagte Mister JayMac. »Was ich…«
    Sie schnitt ihm das Wort ab. »Er befürchtet allen Ernstes, ich könnte ein… ein schlechtes Vorbild sein. Hab ich recht, Onkel?«
    »Die Zeit ist aus den Fugen, LaRaina. Das Klima ist freizügig
    und zugleich moralisierend. Um deinet- und Phoebes willen,
    du solltest bedacht sein, daß dein Ruf als Ehefrau und Mutter
    über jeden Zweifel erhaben bleibt.«
    ∗
    »Aha«, sagte Miss

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