Brüchige Siege
High-School-Absolvent war
ich noch kein Leckerbissen für die Army. Selbst mit achtzehn
würden sie mich wahrscheinlich 4-F mustern: untauglich für
den Wehrdienst.
Ich hatte nämlich ein Sprachproblem. Manchmal tat ich
einfach nicht den Mund auf. Und wenn ich d-d-doch redete,
dann st-stotterte ich. Was dabei herauskam, waren Satzfetzen,
wie bei einem Maschinengewehr mit Ladehemmung. Die
Pausen waren manchmal endlos, selbst wenn Coach Brandon
mich anbrüllte (oder gerade dann). So bahnte ich mir meinen
Weg durch die Schule, Nackenhaare gesträubt und hellwach
wie ein Schießhund. Ansonsten war ich körperlich ganz
normal, nur mein Sprachproblem trieb die Leute zur
Verzweiflung. Mama meinte, wenn die Army-Ärzte keine
körperliche Ursache fänden – eine Gaumenspalte schied aus,
und die gequetschten Stimmbänder hätten viel früher behandelt
werden müssen – dann würden sie mich ausmustern: als
Grenzfall sozusagen. Ein GI muß einfach eine Stimme haben,
sonst kann er ja nicht mal »Aufpassen!« brüllen, wenn der
Infiltrant die Granate in das Schützenloch eines Kameraden
wirft.
Und noch etwas verhalf mir nach Highbridge. Ein Gespann,
das keines unserer Red-Stix-Heimspiele ausließ, bestand aus
Colonel und Mrs. Clyde Elshtain. Der Colonel hatte sich als
Versorgungsoffizier in den einstweiligen Ruhestand versetzen
lassen, um bei Deck Glider, Inc. den großen Beschaffungsspezi
zu machen. Mama meinte, der Colonel habe ein paar Fäden
gezogen, um die Umstellung der Tenkiller-Fabrik zu besiegeln.
Der eigentliche Baseballfan war aber die Lady. Mrs. Tulipa
∗
Elshtain. Großes Ehrenwort, so hieß sie. Lady Tulipa war über fünfzig, sie spazierte und parlierte herum wie eine ›vom Winde verwehte‹ Schönheit. Selbst in Oklahoma blieb sie ein
Mitglied des konföderierten* Magic-Club. Bei den Red-Stix-
Spielen vergaß sie dann die Lady und johlte und buhte wie ein
Seemann beim Preisboxen.
»Los, Goochie, schlag ‘nen Vierer*! Schick ihn in den
Mississippi!«
Miss Tulipa und der Colonel pflegten ganz oben in der
offenen Tribüne für Deck Glider zu sitzen, neben Mama. Bei
den Spielen legten sie es darauf an, Mama – die arme,
schuftende und im Stich gelassene Mrs. Boles – zu ihrem
Komplicen und Mitstreiter zu machen.
»Ich bin ihr gutes Gewissen«, sagte Ma, nachdem die
Elshtains damit angefangen hatten. »Eine schicke
Sportsfreundin, aber keine zum Einladen.«
∗ tulip (f tulipa) = Tulpe
Colonel Elshtain gehörte zum Management, Ma zu den
Arbeitern. Wenn Miss Tulipa in die Tribüne stieg, dann trug
sie Spitzenbluse, Tulpenrock, und entweder ein Samtbarret
oder einen extravagantem Strohhut mit Pfauenfedern. Mama
trug Overall und Kopftuch.
»Ja, richtig so, Scooter!« schrie dann Miss Tulipa. »So mußt du schlagen, Blödmann!«
Schließlich luden uns die Elshtains doch noch ein. In dem
zweigeschossigen Vorkriegshaus mit Säulen hatte früher ein
Reicher gewohnt, ein entwurzelter Cherokee namens Trenton
Cass. Die Cass-Villa, sagt noch jeder. Mama gab mit Absätzen
an, mit halblangen Nylons, und ihrem hübschesten
Tupfenkleid, das immerzu an ihr kleben blieb. Ich trug lange
Khaki-Hosen, Hosenträger aus dem Laden und meine
Sonntagskrawatte.
Bei diesem besonderen Dinner nach dem Kirchgang – ich seh
es noch vor mir –, da gab es eisgekühlte Shrimps als
Vorspeise, weißen Spargel und ein Gericht aus Reis und
Hühnchen, das Miss Tulipa Country Captain nannte, und zum Nachtisch Orangensorbet und Heidelbeeren. Ich weiß nicht,
woher die Elshtains die ganzen Zutaten nahmen, oder um wie
viele Rationen sie in Rückstand gerieten, aber ich hatte noch
nie so erstklassig gespeist. Ich schlang alles hinunter, sogar den Spargel, ein etepetetes Gemüse, aus dem ich mir nie was
gemacht hab, und das ich auch nie wieder gegessen hab. (Babe
Ruth* behauptete, wenn er Spargel gegessen hatte, würde sein
Urin so stinken.) Es gab auch Wein, aber nicht für mich.
»Du spielst so selbstverständlich«, sagte Miss Tulipa beim
Nachtisch. »Wie fändest du es, einem professionellen Team
zur Meisterschaft zu verhelfen?« Ihre Stimme war wie Coca-
Cola: süß und schaumig und prickelnd.
Bis jetzt hatte hauptsächlich Mama die Unterhaltung
bestritten. Ich sah sie an. Aus der Bibliothek nebenan drang die Kammermusik des Colonels, oder genauer das kratzige
Gefiedel eines Grammophons. Wie Miles Standish* wollte ich
für mich selbst sprechen.
»Ich m… ich
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