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Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Titel: Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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unerträglich, sein Gesicht durch das Bild zu pressen.
    Währenddessen zerrte Hannah mit Leibeskräften an seinem anderen Arm, so dass Avi schon befürchtete, in zwei Hälften zerrissen zu werden. Pennie sprang auf seinen Hals und grub ihre winzigen Krallen in seine Haut wie ein Kätzchen.
    Inzwischen bedeckte die Farbe das Revers seiner Jacke, so dass das schwarze Leder langsam das leuchtende Rot von Henry Hudsons Umhang annahm. Dann berührte seine Wange das Bild. Es fühlte sich kalt und klebrig an. Da er machtlos dagegen war, zwang er sich zur Ruhe. Mit der freien Hand umklammerte er fest Hannahs Handgelenk, um bloß nicht von ihr getrennt zu werden.
    Kälte umfing ihn, und er hatte ein Gurgeln in den Ohren. Er kniff die Augen zu, hörte eine Glocke läuten, und im nächsten Moment war er auf der anderen Seite. Er bekam einen Schubs in den Rücken und fiel bäuchlings auf eine harte Fläche.
    Avi machte die Augen wieder auf: mit Sägemehl bedeckte Dielenbretter. Hinter ihm folgte Hannah, die noch immer seinen Arm gepackt hatte. Während das Gemälde sie ausspuckte, wirkte sie auf Avi für einen Sekundenbruchteil flach wie den Seiten eines Buchs entstiegen und vom Wind herangeweht. Die verdrängte Luft erzeugte einen Knall, als sie wieder eine dreidimensionale Form annahm und auf allen vieren neben ihm landete.
    »Verdammter Mist!«, schimpfte sie. »Ich fühle mich wie durch die Mangel gedreht.«
    »Por-pangel-pop!«, stimmte Pennie zu und flatterte über ihren Köpfen im Kreis herum.
    »Offenbar freut sich da jemand, wieder zu Hause zu sein«, stellte Avi fest.
    Er rappelte sich auf und half Hannah auf die Füße. Hand in Hand sahen sie sich um.
    Sie befanden sich in einem kleinen Raum mit schräger Decke, offenbar einer Mansarde. Durch ein kleines Dachgaubenfenster funkelte Sternenlicht herein. Im Dämmerschein erkannte Avi einige Tischchen, auf denen sich Dosen, Gläser und mit angetrockneter Farbe verkrustete Pinsel drängten. Fleckige Lappen lagen auf dem Boden herum. Im Zimmer stank es nach Moder und Terpentin. Die Wände waren mit mottenzerfressener Seide tapeziert. Anscheinend das Atelier eines Malers.
    In dieser Welt hing Henry Hudsons Porträt nicht an der Wand, sondern lehnte daran. Es war zu dunkel, um es richtig betrachten zu können, aber nach kurzer Suche entdeckten sie unter dem Krimskrams auf einem der Tische eine Kerze. Daneben lagen Zunderbüchse und Feuerstein. Nachdem Avi sich eine Weile vergeblich damit abgemüht hatte, förderte Hannah ein kleines silbernes Feuerzeug aus ihrem Rucksack zutage. Als sie mit dem Daumen über das Rädchen fuhr, züngelte eine Flamme empor.
    »Wozu brauchst du ein Feuerzeug?«, wunderte sich Avi. »Du rauchst doch gar nicht.«
    »Nicht mehr«, erwiderte Hannah und ließ den Blick durch den Raum wandern. »Das Zippo gehörte meinem Vater. Nach seinem Tod habe ich es behalten.«
    »Ein seltsames Andenken.«
    »Eigentlich nicht. Er hat es jeden Tag benutzt. Wenn ich es in der Hand halte … nun, es fühlt sich an, als wäre er noch da.«
    Im Licht der Kerze stellten sie fest, dass das Gemälde mit dem in der National Gallery identisch war … nur mit einem Unterschied: Der Spiegel zeigte eine andere Ansicht.
    »Das ist ja die National Gallery«, meinte Hannah und musterte das kleine Spiegelbild. »Schau, man kann sogar Durin und Roosevelt sehen.«
    Als Avi sich darüber beugte, erkannte er, dass sie recht hatte. Der Maler hatte die beiden Wächter mit winzigen Pinselstrichen auf die Leinwand gebannt. Avi fragte sich, ob das Bild sich je nach den Ereignissen auf der anderen Seite von selbst aktualisierte. Oder hatte Rubens vor vierhundert Jahren hier in diesem Zimmer gestanden und die Zukunft vorausgeahnt?
    »Was, glaubst du, hat uns durch das Bild gezogen?«, riss Hannah ihn aus seinen Grübeleien. »War … er es?«
    Avi starrte auf das Porträt. Henry Hudson erwiderte mit derselben hochmütigen Miene, die er auch in der Welt der Sterblichen zur Schau trug, seinen Blick.
    »Keine Ahnung«, antwortete er. »Es könnte ja sein, dass Hudson in dem Bild gefangen ist. Wenn ja, dann schon seit Jahrhunderten.« Er erschauderte und musste wieder an seinen Vater Oren denken, der in die Zwischenwelt geraten war.
    Hannah wies auf den Boden, wo sich im Sägemehl Fußabdrücke abzeichneten. »Vor uns war schon jemand hier. Und zwar, wie es aussieht, erst vor kurzem.«
    »Vielleicht sind wir nicht die Ersten, die das Bild benutzt haben«, erwiderte Avi. »Wir sollten

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