Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
in die Hocke und zwängte sich hinein.
Der ganze Gang erzitterte unter einem gewaltigen Knall, ein Geräusch, das in Avis Ohren widerhallte und ihm den Atem verschlug. Danach ertönte ein dumpfes Pochen, gefolgt von einem zweiten und dritten Schlag. Die Erschütterungen schienen immer näher zu kommen. Heiße Luft, die nach Feuchtigkeit und Kies roch, wehte ihm ins Gesicht. Der Grabschaufler stapfte an ihm vorüber, und hinter dem Ungetüm gab die Wand nach. Avi machte einen Satz nach vorne. Erde fiel auf seine Beine und klebte ihm im Gesicht.
Er konnte die Hand nicht vor Augen sehen, und es wurde allmählich sogar schwierig festzustellen, wo oben und wo unten war. Anscheinend hatte im Gang ein größerer Einsturz stattgefunden. Zum Glück waren Avis Hände und Schultern frei, so dass er sich aus der feuchten Erde herausarbeiten konnte. Nachdem er seine Beine endlich aus dem Erdhaufen befreit hatte, lag er keuchend da.
Durch einen Riss in der Decke schimmerte fahles Tageslicht herein. Hinter ihm, wo der Gang der Belastung nicht standgehalten hatte, erhob sich ein gewaltiger Wall aus Erde. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte er.
Also humpelte er durch die Dunkelheit den Weg entlang, den der Grabschaufler ausgehoben hatte. Inzwischen zweifelte er nicht mehr daran, dass das Ungetüm den Auftrag gehabt hatte, ihn zu befreien. Warum sonst hätte es in der Festung direkt auf ihn zusteuern sollen? Trotz seiner Müdigkeit und Schmerzen zwang er sich zum Weitergehen. Irgendwo musste der Tunnel ja ein Ende haben.
Er konnte nicht einschätzen, wie weit er gekommen oder wie lange er schon unterwegs war. Als er spürte, wie ihm im Stiefel der Knöchel anschwoll, zog er ihn aus. Es war noch immer stockfinster, und inzwischen stieg der Gang leicht an. Avi schritt so schnell wie möglich aus und versuchte dabei, den verletzten Knöchel nicht zu belasten. Nach einer Weile entledigte er sich auch des zweiten Stiefels. Es war ein angenehmes Gefühl, barfuß zu gehen.
Gerade wollte er eine Pause einlegen, als er gedämpfte Stimmen bemerkte. Avi wurde langsamer und spitzte die Ohren, um das Gespräch zu verfolgen.
»Ich sage dir, dass er es ist. Wer sollte es denn sonst sein?«
Avi erkannte die Stimme. Er traute seinen Ohren nicht, und sein Herz setzte einen Schlag aus.
»Hannah?«, flüsterte er.
»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
»Ach, komm runter von deinem hohen Ross. Gib mir die Fackel.«
Ja, sie war es! »Hannah!«, rief Avi. »Ich bin hier unten!«
»Avi!«
Ein Licht leuchtete auf, und etwa zehn Meter voraus kam ein Loch in der Decke in Sicht. Eine Flamme senkte sich herab, gefolgt von einem blassen Gesicht. Im nächsten Moment landeten Flamme und Gesicht auf dem Boden des Gangs, direkt vor Avis müden Augen.
»Träume ich?«, fragte er.
Mit einem Freudenschrei ließ Hannah die Fackel los und fiel Avi um den Hals. Erleichtert versank er in ihren Armen. Sie küsste ihn immer wieder, ohne sich darum zu kümmern, dass er von Kopf bis Fuß voller Erde war. »Ich wusste, dass du es bist!« Sie drehte sich um. »Tyrian, er ist es! Bring die Leiter!«, rief sie ihrem Begleiter zu.
Avi, der sich leicht betrunken fühlte, ließ sich von Hannah auf die schmale Strickleiter helfen. Sie kletterten durch ein zylinderförmiges Loch in der Erde und standen schließlich in einem von orangefarbenem Licht erfüllten runden gemauerten Raum. Das Licht blendete Avi in den Augen. Ihm kamen die Tränen, und er hielt sich schützend den Arm vors Gesicht.
»Tyrian, mach die Vorhänge zu«, sagte Hannah.
»Por-pak-pak-pop«, war die vertraute Stimme des Pennapor zu vernehmen.
»Nein«, protestierte Avi. »Nein, es ist schon in Ordnung.«
Ihm war klar, wo er sich befand, denn er erkannte den Ort am Geruch, der in der Luft lag, daran, wie Hannahs Stimme vom fliederfarbenen Mauerwerk widerhallte, und an der tadelnden Miene und der seltsam fließenden Verbeugung des kahlköpfigen Feenmanns, der in der Tür stand. Und dennoch wollte er sich mit eigenen Augen vergewissern.
Also schleppte er sich zum Fenster und spähte unter halb geschlossenen Lidern hinaus. Vor ihm erhob sich die vergoldete und im Morgenlicht hell funkelnde Fassade eines gewaltigen Saals. Über dem kunstvoll verzierten Ziegeldach schwebte eine Adlerfamilie. Grüne Fahnen wehten in dem Wind, der in der letzten Nacht aufgekommen war und nun den neuen Tag begrüßte.
»Der Palast von Westminster«, murmelte er. Er drehte sich zu Hannah um und lehnte den
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