Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
dennoch auf innovative Finanzprodukte angewiesen. In einer globalen Wirtschaft müssen sich die Unternehmen einer Exportnation gegen schwankende Währungen, gegen schwankende Rohstoffpreise absichern können – dafür gibt es Finanzprodukte. Die Forderung, das alles zu verbieten, würde nur alte Risiken durch neue ersetzen. Peer Steinbrück äußert sich ja gelegentlich in diese Richtung. Wir haben im Unterschied dazu eine vermittelnde Rolle, die die Wirtschaftskompetenz der FDP ausmacht: Die Märkte ordnen, aber nicht dämonisieren.
Die Entschuldung des Staates – das zentrale Projekt Ihrer Generation
GENSCHER
Es ist gut, dass Sie sich auf Otto Graf Lambsdorff berufen. Ich habe ihn schon früh für einen der besten Köpfe der Liberalen in Deutschland gehalten. Als mir 1977 Hans Friderichs überraschend erklärte, er wolle das Amt des Wirtschaftsministers niederlegen, um zur Dresdner Bank zu wechseln, da habe ich Otto Graf Lambsdorff angerufen und gesagt: »Sie müssen jetzt ins Wirtschaftsministerium.« Ich hatte das mit niemandem abgesprochen, aber für mich stand außer Zweifel: Für dieses Amt kommt nur Lambsdorff infrage. Auf ihn war Verlass. Unser Verhältnis war von großer persönlicher Wertschätzung, aber auch echter menschlicher Verbundenheit geprägt. Ich habe bewundert, mit welcher Energie dieser Mann trotz seiner schweren Kriegsverletzung gelebt hat. Das war eine ganz besondere Form der Tapferkeit. Auch als ihm wegen der Parteispendenaffäre der Prozess gemacht wurde, hat er nichts von seiner Würde und Festigkeit verloren.
Es mag altmodisch klingen, aber Otto Graf Lambsdorff war ein Beispiel preußischer Selbstdisziplin. Für unseren Umgang war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns in unseren jeweiligen Fachgebieten respektierten und Meinungsverschiedenheiten niemals öffentlich diskutierten. Die Tugend der Diskretion ist im heutigen Politikbetrieb leider seltener geworden. Auch Lambsdorff und ich hatten manch schwieriges Gespräch, und er konnte ziemlich austeilen, aber unsere internen Diskussionen sind nie nach außen gedrungen. Sie werden bis heute darüber in keiner Zeitung etwas finden – und das wird auch so bleiben.
Wenn Otto Graf Lambsdorff jetzt hier wäre und hören würde, wie wir über Markt und Verantwortung reden, dann würde er uns wohl auffordern, unseren Begriff der Verantwortungswirtschaft auch auf den Staat zu übertragen. Mich besorgt die Staatsverschuldung, die Ihrer und kommenden Generationen Lasten auferlegt und insofern auch Gestaltungsräume für die Zukunft nimmt. Dieses Grundverständnis hat uns ja auch motiviert, den am Ende erfolgreichen Kampf für die Schuldenbremse zu führen.
LINDNER
Das ist in der Mentalität vergleichbar. Am Markt haben manchen die Gewinne der Realwirtschaft nicht ausgereicht, um den Renditehunger zu stillen. Im Staat hat die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht genügt, um die politischen Versprechen zu finanzieren, die den Wohlfahrtsstaat von Wahl zu Wahl ausdehnen.
GENSCHER
Genau das war der entscheidende innenpolitische Grund für die Bonner Wende. Dazu habe ich schon ein Jahr zuvor, 1981 , in einem Brief an die FDP – in Wahrheit für die Öffentlichkeit und die SPD bestimmt – geschrieben. In einer Situation steigender Arbeitslosigkeit und steigender Staatsverschuldung war damals neues Denken nötig. Ich habe also formuliert: »Ganz allgemein ist es erforderlich, die Einsicht zu stärken, dass keine Leistung von Staat und Gesellschaft gewährt werden kann, die nicht vorher oder hinterher von der Allgemeinheit, also von jedem Einzelnen von uns, aufgebracht werden müsste.«
LINDNER
Das kann man unverändert so sagen, finde ich. Angebotsorientierte, marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik, Haushaltskonsolidierung – bis zur Deutschen Einheit hat das Land ja dann auch Fortschritte gemacht. Wenn ich es richtig weiß, hätte Theo Waigel als Bundesfinanzminister Anfang der neunziger Jahre einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorgelegt, während in den USA das Defizit gestiegen ist.
GENSCHER
Die moralische Begründung dafür ist das Gebot der Generationengerechtigkeit: dass eine gegenwärtige Generation nicht ökologisch, aber eben auch nicht finanziell auf Kosten einer nächsten leben kann.
LINDNER
Das fordern auch immer mehr Menschen. In Nordrhein-Westfalen wurde kürzlich eine Umfrage veröffentlicht. Nach deren Ergebnis ziehen fast 80 Prozent der Befragten quer durch alle Parteizugehörigkeiten und
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