Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Politik ist noch ein ganz eigenes Feld. Hat Ronald Reagan in diesem Zusammenhang nicht einmal gesagt, er wünsche sich einarmige Wirtschaftsberater? Die, die er hatte, würden nämlich immer sagen:
»On the one hand … and on the other hand …«
. Das haben wir auch erlebt. Denken Sie auch hier an die Eurokrise: An Ratschlägen herrschte nun wirklich kein Mangel, nur schlossen sich die Lösungsvorschläge oft genug gegenseitig aus.
GENSCHER
Die Aufgabe ist eben für jeden einzelnen Entscheidungsträger, sich die richtigen Ratgeber zu suchen. Das ist mit Sicherheit eine wesentliche Eigenschaft des erfolgreichen Politikers: diejenigen Berater zu finden, auf deren Expertise aufbauend er oder sie ein eigenes Urteil treffen kann. Auch müssen die Felder von Exekutive und Legislative klar genug abgrenzt werden. Das dient auch dazu, eine Überforderung des Parlaments zu vermeiden.
»Waren Sie stärkere Persönlichkeiten?«
LINDNER
Ich habe das Gefühl, Politiker haben früher mehr Ansehen in der Bevölkerung genossen, obwohl die Anforderungen heute eher größer als kleiner geworden sind. Waren Sie damals stärkere Persönlichkeiten, oder waren die Wähler gnädiger?
GENSCHER
Die Zeit war eine andere. Wer ein Land, eine Partei oder eine Fraktion führt, der muss Verantwortung übernehmen. Das heißt, er muss klar sein in der Sache, überzeugt von seinen Entscheidungen und leidenschaftlich in seinen Argumenten. Das galt früher, und das gilt auch heute. Was ich aber glaube ist, dass in der Politik lange Zeit Seniorität von Vorteil war. Das hängt mit den Anfängen der Bundesrepublik zusammen und den Persönlichkeiten, die sie geprägt haben. Damals standen an der Spitze der drei klassischen Parteifamilien drei herausragende Männer, die über große Lebenserfahrung verfügten: Konrad Adenauer bei der CDU , Kurt Schumacher bei den Sozialdemokraten und Theodor Heuss bei den Liberalen. Bundeskanzler, Oppositionsführer, Bundespräsident. Die verkörperten, jeder auf seine Art, Grundkoordinaten: Adenauer war der erfahrene politische Routinier mit einer klaren Positionierung für die Westintegration; Heuss war der Repräsentant eines liberalen Bürgertums, der sich bei seinem ersten Besuch eines Manövers der Bundeswehr erlauben konnte, locker zu bemerken: »Nun siegt mal schön!« – ein Satz, der in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Das war nach jahrhundertelanger Militarisierung des Denkens eine Art intellektueller Abrüstung. Es war der Sieg von Goethe und Kant über Tirpitz und Ludendorff. Da sprach nicht der Soldatenkönig zu seinen Musketieren, sondern der Bürgerpräsident zu den Bürgern in Uniform.
Dieser Kanzler und dieser Präsident – ein Glücksfall. Ebenso wie es für unser Land ein Glücksfall war, dass in dem Moment, als die SPD in Ostdeutschland ein zweites Mal der Verfolgung ausgesetzt wurde, Schumacher da war. Seine Person vereinte das sozialdemokratische Schicksal der jüngsten Vergangenheit und die sozialdemokratische Herausforderung der Gegenwart. Nur einer wie er konnte verhindern, dass der Einfluss der Kommunisten in Westdeutschland stärker wurde. Adenauer, Heuss und Schumacher, drei nicht mehr ganz junge Männer, die von Weimar geprägt waren – ihnen hat Deutschland den Weg in die Demokratie zu verdanken. Das haben die Menschen damals gespürt. Sie suchten Orientierung, und in solchen Persönlichkeiten fanden sie die auch.
LINDNER
Glauben Sie, dass das nur zu Beginn der Bundesrepublik bedeutsam war – diese Seniorität? Ich beobachte, dass heute doch die Elder Statesmen – Sie selbst, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker und einige andere – eine große Autorität in der öffentlichen Debatte haben, sie werden gehört und um Rat gebeten. Da offenbart sich doch ein großer Wunsch nach Erfahrung, Seniorität, Verlässlichkeit. Vielleicht auch deshalb, weil man sich von Ihnen, die Sie aus einer historischen Perspektive heraus argumentieren, Orientierung und das Verfolgen langer Linien erwartet, während die Tagespolitik oft als atemlos wahrgenommen wird, als gierig nach dem Applaus des Moments, was viele abstößt.
GENSCHER
Dass Sie das so empfinden, hat wahrscheinlich mit Ihrem Lebensalter, also der Perspektive des Jüngeren zu tun. Als Walter Scheel und ich an die Spitze der FDP kamen, seufzten viele: »Ja, früher, das waren noch Leute – Heuss und Dehler! Aber diese Jungen!« Diesen Hang zum Nostalgischen gibt es immer. Den gibt es bei allen Parteien, weil er
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