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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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vollständig zusammengefasst, da waren erste Meldungen darüber bereits im Internet. Das führt dann zu Festlegungen, hinter die man mit etwas Abstand am Ende des Abends oder am nächsten Morgen kaum mehr zurückkommt. Wenn mal wieder etwas über die Gespräche im Koalitionsausschuss nach außen gedrungen war, fiel der Blick meist auf mich. Ich war ja der junge Mann mit dem Faible für das iPhone. Dabei war ich doch so unschuldig.

»Sie lesen doch auch Zeitung, Herr Lindner?«
    GENSCHER
    Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen: Die aktive Kommunikation, das Interview in elektronischen Medien und auch in Printmedien, halte ich für enorm wichtig. Trotz aller Unkenrufe – die Menschen lesen immer noch. Sie lesen doch auch Zeitung, oder?
    LINDNER
    Ja, aber die lese ich nicht auf Papier, sondern in den elektronischen Ausgaben, die schon am Abend vorher verfügbar sind.
    GENSCHER
    Jedenfalls habe ich auch immer gut mit Journalisten zusammengearbeitet – zumindest mit den meisten. Im übrigen habe ich mich immer an den Grundsatz gehalten: Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. Wie halten Sie es mit der Presse?
    LINDNER
    Nun, eine Journalistin habe ich geheiratet, aber von dieser Ausnahme abgesehen versuche ich, eine professionelle Distanz zu halten. Wo wir nun schon bei den schönen Seiten der Medien sind – für mich gehören dazu auch die Möglichkeiten, die soziale Netzwerke wie
Facebook
oder auch
Twitter
schaffen. Denn sie erlauben einen intensiveren Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das nutze ich. Es gibt ja Fragen, bei denen das eigene Urteil noch offen ist. Solche Themen platziere ich – es ging beispielsweise einmal um die Frage, ob das Wahlalter bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen auf 16  Jahre gesenkt werden sollte – dann als offene Frage. Binnen zwei, drei Stunden gibt es darauf mitunter mehr als hundert Antworten, darunter sehr ernsthafte Argumente und Einordnungen, von denen ich profitiere. Das trägt einem der Schwarm zu.
    GENSCHER
    Wenn ich es richtig verstehe, dann arbeitet so auch die Piraten-Partei.
    LINDNER
    Im Prinzip, ja. Die Piraten verwenden noch andere, interne Plattformen. Die etablierten Parteien können sich davon etwas abschauen, der Prozess ist bei uns und anderen in vollem Gange. Man darf aber nicht vergessen: Das sind technische Instrumente, die den Dialog und die Meinungsbildung bereichern. Das Problem der Piraten-Partei indes ist, dass sie die Mittel mit dem Inhalt verwechselt haben. Wenn immer nur zufällig zusammengesetzte Gruppen im Internet entscheiden, fehlt Konstanz. Nebenbei gesagt, beobachte ich bei den Piraten im Landtag, dass sie einerseits die Fraktionsdisziplin bei ihren Mitbewerbern – die ja eine Folge der internen Arbeitsteilung und des Anspruchs ist, Grundlinien erkenn- und unterscheidbar zu machen – als undemokratisch tadeln, andererseits aber ihr eigenes Abstimmungsverhalten an Voten aus dem Internet binden lassen. Wenn das nicht eine Art imperatives Mandat ist!

Parlamentarismus
    GENSCHER
    Damit sind wir beim Parlamentarismus. Ich bin dieser Tage längere Zeit mit dem Auto unterwegs gewesen und hatte Phoenix angestellt, weil ich hören wollte, was im Bundestag gerade läuft. Da kündigt der Präsident gerade an: »Ich rufe auf: Tagesordnungspunkt  23 , Gesetzentwurf zur Beschneidung. Zwischen den Fraktionen ist eine Debattenzeit von neunzig Minuten vereinbart.« Dass das Parlament sich das gefallen lässt, neunzig Minuten! Da wird einfach entschieden, wie lange eine solche Debatte dauern darf, und dann müssen sich alle danach richten. Ich habe immer gegen die Zeitzuteilung nach Stärke der Fraktion argumentiert.
    LINDNER
    Und hatten Sie Erfolg damit?
    GENSCHER
    Es gab nicht gleiche Redezeiten, aber offenere Redezeiten. Die Fraktionen haben sich selbst diszipliniert. Zu Zeiten der ersten Großen Koalition, 1966 , habe ich im Ältestenrat erklärt, dass wir nun eine neue Lage haben, schließlich verfügte die Große Koalition über 90  Prozent der Sitze im Parlament. Wir, die FDP , waren die verbleibende Opposition, und deshalb durften unsere Rechte nicht allein an der Fraktionsgröße gemessen werden. Das haben die Vertreter der beiden Großen verstanden und akzeptiert. Als umso schlimmer habe ich dann später diese Zuteilung von Redezeiten empfunden.
    In der Debatte über die Ostpolitik sprachen Gustav Heinemann und Thomas Dehler zwischen 22 . 00 und 24 . 00  Uhr – das war nicht limitiert, und es war auch

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