Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
werden. Der einzelne Mensch hat sich dieser Politik zu unterwerfen. Gesinnung wird wichtiger als Wirksamkeit. Die Freiheit des Individuums wird damit gleichermaßen von bedrohten Naturgrundlagen wie einem fast totalitär wirkenden Ökologismus gefährdet. Es wird unterstellt, in Freiheit leben passe nicht mit ökologischem Handeln zusammen. Da ist doch eine wiederzuentdeckende Aufgabe für Liberale: eine Balance zwischen den Entwicklungswünschen der Menschen und einem wirklich wirksamen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen herzustellen. Und das in eigener Verantwortung zu tun.
GENSCHER
Wie würden Sie diesen Ordnungsgedanken denn beschreiben?
LINDNER
Heute würden wir von ökologischer Ordnungspolitik oder einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft sprechen, die private wie wirtschaftliche Freiheit achtet. Eine Detailsteuerung, die Biosprit oktroyiert und Glühbirnen verbietet, verhindert kreativere Lösungen. Solche Lösungsfragmente offenbaren ein Denken im Klein-Klein. Da sind grundlegende Zielvorgaben wie Energieeffizienz besser, um den Wettbewerb als Innovationstreiber, Kostensenker und als Entdeckungsverfahren für neue Technologien zu nutzen. Denken Sie an den zum Klimaschutz eingeführten Emissionshandel in Europa: Da wurden Verschmutzungsrechte – ein sperriges Wort – definiert, die sich an der Menge der verantwortbaren Belastung in einem Jahr orientieren. Die entsprechenden Zertifikate werden gehandelt, verlieren aber insgesamt an Wert. Es besteht also die volkswirtschaftliche Vorgabe, Emissionen zu vermeiden – nur kann das einzelne Unternehmen betriebswirtschaftlich selbst entscheiden, ob es weitere Zertifikate erwirbt oder besser in Umwelttechnologien investiert. Wenn die Schonung der Ressourcen wirtschaftliches Eigeninteresse ist, dann suchen die Menschen die besten Wege. Die Marktwirtschaft mit ihrer Innovationskraft also in den Dienst der Umwelt stellen – und nicht Ökonomie gegen Ökologie setzen!
GENSCHER
Das meine ich. Das ist der Unterschied – mehr noch, es ist der fundamentale Gegensatz – zu den Grünen. Die Grünen denken bürokratisch, während wir sagen, wir müssten die Ziele mit marktkonformen Mitteln erreichen, darin sind wir uns einig. Ich fände gut, wenn die FDP diesen Ball neu aufnehmen würde.
LINDNER
Die Konzepte zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft sind längst da …
GENSCHER
… dann gilt es nur noch, das Banner zu entfalten!
LINDNER
Ja, denn vor uns liegen gerade im Bereich der Nachhaltigkeit und der Schonung natürlicher Lebensgrundlagen immense Herausforderungen. Den Klimawandel habe ich gerade angesprochen. Hinzu kommt ein Wechsel von der Verbrauchs- zur Effizienzökonomie, weil weltweit Ressourcen wie Wasser, Öl und Gas knapper werden. Wenn das alles, wenn diese tiefgreifende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die in den nächsten drei, vier Jahrzehnten ansteht, ausschließlich dem politisch linken Spektrum – respektive denjenigen, die staatsorientiert sind – überlassen wird, dann wird das Ganze scheitern. Irgendwann werden die Leute gegen Verbote und Wohlstandsverluste rebellieren. Mit etwas Sensibilität kann man im Zuge der steigenden Stromkosten bereits heute erkennen, dass die Akzeptanz für die Energiewende insgesamt zurückgeht. Das ist ein Alarmsignal.
War die Energiewende richtig?
GENSCHER
Die Energiewende selbst halte ich allerdings für richtig. Zwei Dinge bei der Kernenergiediskussion sind ins Zwielicht geraten: Das eine ist die These von der Beherrschbarkeit der Technologie, deren Zweifelhaftigkeit uns die Katastrophe in Japan vor Augen geführt hat. Das andere ist die Unterdrückung der enormen Subventionskosten für die Kernenergie einschließlich der Zukunftskosten, was Endlagerung angeht. Kernenergie wurde als preiswert angeboten – das ist sie in Wahrheit nicht, wegen dieser versteckten Kosten.
LINDNER
Einverstanden. Jetzt geht es aber nicht mehr um das begrüßenswerte Ziel, sondern um den richtigen Weg. Der Bundespräsident hat die bisherige Energiepolitik in meinen Augen völlig zu Recht mit dem Wort »Planwirtschaft« charakterisiert. Wie anders sollte man es nennen, wenn der Strompreis nur zur Hälfte aus echten Kosten besteht – alles andere sind Steuern, Abgaben, Ausnahmen und Umlagen. Der Staat fördert und steuert, wo er kann: Er subventioniert also zum Beispiel neue Anlagen, finanziert Kraftwerkskapazitäten für Engpässe und sichert das Haftungsrisiko für Netzbetreiber ab.
Weitere Kostenlose Bücher