Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Innenminister auch für das Thema Umwelt zuständig. In Ihrer Verantwortung entstand das erste Umweltprogramm einer Regierung in Europa überhaupt, auf der ersten Umweltkonferenz der UN 1972 in Stockholm haben Sie eine Rede über die deutsche Umweltpolitik gehalten, obwohl Deutschland noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen war. Das ist Pionierarbeit gewesen. Heute wird mit Umweltpolitik allerdings eine andere Partei verbunden. Haben wir als FDP das Thema unterschätzt?
GENSCHER
Damals nicht, später ja. 1969 sprach man noch nicht von saurem Regen, dem Ozonloch oder gar dem Klimawandel. Trotzdem war uns klar, dass wir Regeln für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen brauchten. Dieses Thema hat auch meinen Ministerkollegen Horst Ehmke – damals als enger Vertrauter von Willy Brandt Chef des Bundeskanzleramts – umgetrieben, und so haben wir uns zusammengesetzt. Wir waren uns einig, dass die Verantwortung in einem unabhängigen Ressort, das eben nicht durch Interessen belastet ist, liegen sollte. Das hieß aber auch, dass man überhaupt Zuständigkeiten des Bundes schaffen musste – der Bund hatte ja praktisch keine Kompetenzen für die wichtigen Bereiche der Umweltpolitik. Erstaunlich war – und höchst verantwortungsvoll dazu –, dass die Union, die im scharfen Widerspruch zur Regierung wegen deren Außenpolitik stand, im Bundesrat den Verfassungsänderungen, die wir brauchten, zustimmte. Hier wurde schon der Einfluss des damals noch »jungen Mannes aus Mainz«, Helmut Kohl, sichtbar, der die Union zukunftsfähig machen wollte.
LINDNER
Ich finde bemerkenswert, dass diese Zuständigkeit Ihnen als damaligem Innenminister zugeordnet worden ist und nicht, wie man zunächst erwarten könnte, bei Landwirtschaft und Ernährung, die ja mit den natürlichen Lebensgrundlagen zu tun haben. Stattdessen ist ein konzeptioneller Zugang gewählt worden, der durchaus liberal zu nennen ist, nämlich über das Verfassungs- beziehungsweise das Ordnungsrecht. »Die Kosten des Umweltschutzes sind Kosten der Produktion«, hieß es dazu im Freiburger Programm. Das ist für mich die konsequente Weiterentwicklung des Ordoliberalismus. Hier kam nur etwas Neues dazu, nämlich dass es auch Regeln braucht im Umgang mit vorher scheinbar als unbegrenzt verfügbar verstandenen natürlichen Ressourcen.
Der Markt setzt Knappheitssignale effizient um – doch dazu müssen diese Signale auch gegeben werden. Wenn Güter keinen Preis haben, können Märkte nicht funktionieren. Dann werden ökologische Kosten zwischen Weltregionen und Generationen umverteilt. Das ist eine illegitime Freiheitseinschränkung. Also muss der Staat absolute Belastungsgrenzen ziehen und den Effekten, die sich beispielsweise nicht vom Markt aus in der Bilanz eines Unternehmens widerspiegeln, einen Preis geben. Das war neues Denken.
GENSCHER
Das ist das Verursacherprinzip – ja. Aus genau diesem Grund sollte es auch ein Ressort sein, das nicht interessenbestimmt ist, also beispielsweise nicht allein die Interessen der Landwirtschaft im Auge hat oder die der Wirtschaft. Ein Aufbruch war es – viel war vorausgedacht worden, das Thema lag in der Luft, wir hielten es für relevant und griffen es auf. Aber ich muss Ihnen gestehen: Wenn ich über Umweltschutz zu sprechen begann bei meinen Wahlveranstaltungen, blickten mich viele Leute eher erstaunt an. Offenbar war das Thema damals in ihrem Bewusstsein noch nicht angekommen.
Unvergesslich für mich, dass der große Liberale Reinhold Maier als Parteivorsitzender das saubere Wasser »auf der Alb« schon 1957 zu einem Wahlkampfthema machte. Da sprach der erfahrene, weitsichtige Politiker. Aber auch derjenige, der wusste, wie er ein zentrales Thema der natürlichen Sorge des Bürgers populär machen konnte. Vier Jahre später kam Willy Brandt nicht weniger weitsichtig mit der viel belächelten und ironisierten Forderung nach dem blauen Himmel über der Ruhr.
LINDNER
Bis heute finde ich diesen Gedanken für Liberale bestechend. Wer für die Freiheit der Menschen eintritt, muss erkennen: Es gibt endliche Ressourcen. Ökosysteme haben absolute Belastungsgrenzen. Einmal ausgestorbene Arten sind verloren. Ohne frische Luft und reines Wasser, ohne intakte Böden und stabiles Klima werden die menschlichen Lebenschancen eingeschränkt.
GENSCHER
Hier sagen Sie – fast nebenbei – etwas für mich Entscheidendes: Obwohl das Wort Umweltschutz von mir erst salonfähig gemacht wurde, war es für mich in dieser
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