Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Form nicht aussagekräftig genug. Weil es eben nicht primär um die Umwelt an sich ging, sondern um eine menschenwürdige Umwelt. Die natürlichen Lebensgrundlagen – für wen denn? Für die Menschheit! Liberal heißt für mich, dass der Mensch im Mittelpunkt aller Überlegungen steht. Auch hier. Hier geht es um Lebenschancen oder besser gesagt, um Überlebenschancen. So gesehen ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch ein Freiheitsthema, der Freiheit der persönlichen Selbstentfaltung.
LINDNER
Daran sollte man erinnern, wenn gelegentlich der ökologische Gedanke metaphysisch überhöht wird. Ökologische Gebote müssen sich am Maßstab der Verhältnismäßigkeit beweisen. Denn auch im Umweltschutz heiligt der Zweck nicht seine Mittel. Da wir nicht alles wissen können und nicht alles planbar ist, können die Mittel sich verselbständigen und in ihr Gegenteil umschlagen. Das erleben wir ja allenthalben, wenn eine gewisse ökologisch-egalitäre Denkrichtung die Natur über den Menschen stellen will. Schließlich hat der Mensch das Recht auf Entwicklung. Warum hat die FDP diese Avantgarde-Rolle aufgegeben?
GENSCHER
Schon bei unserem Bundesparteitag 1977 in Kiel wurde eine Skepsis gegenüber den vermeintlichen Kosten des Umweltschutzes deutlich. Mit ökonomischen Argumenten wurde der Elan einer zeitgemäßen und fortschrittlichen Umweltpolitik gebrochen. Das war eine wirkliche – nicht Kehrt-, aber doch eine Richtungswende innerhalb der FDP . Zu dem Zeitpunkt gab die FDP das auf, was Sie würdigen, Herr Lindner, wenn Sie uns als die erste Partei beschreiben, die mit dem Freiburger Programm und mit dem Ressortminister für Umweltschutz ab 1969 bei diesen Themen in der Vorhand war. Von der Avantgarde wurde die FDP in Sachen Umweltpolitik zum Bedenkenträger.
LINDNER
Damit hat sie den Platz für die Grünen geräumt. Das ist nicht nur für unsere Partei bedauerlich. Vielmehr werden in der Folge ökologische Argumente heute generell in der Tendenz links eingeordnet, weil die Grünen dieses Feld gekapert haben und den Diskurs mit einer enormen Kompetenzvermutung dominieren.
GENSCHER
Zur geschichtlichen Wahrheit gehört allerdings: Als 1982 die Regierung SPD / FDP zu Ende ging, lagen in den Schubladen des damaligen Ministers Gerhart Baum eine Reihe von Umweltgesetzen fertig vor. Auf die Tagesordnung der Regierung waren sie nicht gekommen, weil auch bei der SPD die Bedenken gegen weitere Schritte im Umweltschutz überwogen, wegen vermeintlicher Interessen des Arbeitsmarktes. Mein Gott, wie sähe unser Arbeitsmarkt heute aus ohne die Arbeitsplätze in den Umwelttechnologien! Deshalb habe ich ja damals als Innenminister landauf, landab gepredigt: Wer die Umwelttechnologien heute hat, hat morgen die Arbeitsplätze. Der neue Innenminister Friedrich Zimmermann konnte 1982 die Öffentlichkeit mit einer Reihe von Umweltgesetzen überraschen, die in so kurzer Zeit gar nicht zu erarbeiten waren. Tatsächlich waren es die Baum-Vorlagen, die da umgesetzt wurden.
Aber Sie haben eben etwas bemerkt, das mir gefallen hat. Sie sagten, weil die damals bestimmenden Politiker das neue Thema zunehmend vernachlässigt haben, konnten sich andere, und zwar zum Teil eng verwoben mit linken Ideologien, des Themas bemächtigen. So wurde die Umwelt für manche Leute zu einem vermeintlich linken Thema. Ich habe das nie verstehen können, aber es war so.
LINDNER
Das hatte auch für die Sache selbst Konsequenzen. Umweltpolitik wird heute zu selten aus dem Ordnungsgedanken heraus gestaltet, wie ich finde. Zu oft gibt der Staat Kommandos über die Rahmensetzung hinaus. Das hat die Herangehensweise fundamental verschoben. Interessanterweise hat der Soziologe Ulrich Beck das mit dem chinesischen autoritären Staatskapitalismus verglichen und gesagt, dass manche seiner »Freunde aus der Umwelt- und Klimabewegung ein Stück weit mit dieser Figur der ökologischen Steuerung von oben liebäugeln«.
Wenn man beispielsweise die Umweltpolitik der grünen Partei betrachtet: Jeder einzelne Lebensbereich soll bis ins Detail vom Gesetzgeber bestimmt und bürokratisch kontrolliert werden. Bis hin zu geradezu ulkig anmutenden Verboten von Motorrollern und Plastiktüten. Dennoch ist es den Grünen in einer verbreiteten Wahrnehmung gelungen, ökologische Verantwortung an ein linkes Politikverständnis zu ketten – der Vorstellung, gesellschaftliche Veränderungen müssten für uns alle von wohlmeinenden Politikern am grünen Tisch geplant
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