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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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begrüßende Veränderung in der Menschenrechtspolitik. Hier wird der einzelne Mensch zum Schutzobjekt, es sind nicht mehr allein die Staaten. Was das bedeutet, auch für die deutsche Außenpolitik, ist noch nicht hinreichend diskutiert, finden Sie nicht? Dabei ist hier eine wichtige Frage der internationalen Politik unbeantwortet. Anders als übrigens in Frankreich, wo es eine solche Debatte gibt. Mir scheint, viele fürchten in Deutschland die Konsequenzen. Ich jedenfalls würde unterstützen, wenn Deutschland aktiv für die Norm der Schutzverantwortung der Weltgemeinschaft für Menschenrechte werben würde.

»Nicht abfinden und nicht abwenden!« Wann intervenieren?
    GENSCHER
    Wie kann man den Unterdrückten helfen, wie stehen wir zum Begriff der humanitären Intervention? Damit habe ich mich schon als junger Mann beschäftigt. Im Zusammenhang mit dem Nürnberger Prozess und der dann folgenden Diskussion, was hätten die Alliierten tun können, um das Menschheitsverbrechen des Holocaust aufzuhalten? Mit dem Versuch also, ein in der Menschheitsgeschichte einmaliges Gesamtverbrechen juristisch zu erfassen.
    Auf der Anklagebank saßen besonders prominente Täter. Aber sie alle waren gleichzeitig besonders aktive Mittäter eines kollektiven Verbrechens. Was mich so sehr prägte in der Erkenntnis, dass über allem der Schutz der Menschenrechte stehen muss. So, wie es unser Grundgesetz in seiner unvergleichlich eindrucksvollen Sprache formuliert: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das bestimmt alles andere und es überragt alles andere. Des Menschen, das heißt, jedes Menschen. Wie viel Vorbehalte und Relativierungen es da gab, habe ich gespürt, als es darum ging, im Namen Deutschlands in den Vereinten Nationen gegen die Apartheid aufzutreten. Da gab es in unserem Lande nicht wenige, die den Grundsatz:
One man, one vote
ablehnten. Sie hielten das für töricht und für gefährlich. Wenn ich in den Vereinten Nationen für die Freilassung von Nelson Mandela eintrat, wurde ich als Unterstützer eines Terroristen und Mörders bezeichnet. Als ich Oliver Tambo, Nelson Mandelas Stellvertreter, der außerhalb Südafrikas lebte, empfangen wollte, kam es zu einer Koalitionskrise. Ich habe ihn trotzdem empfangen. Sie werden es nicht glauben. Als ich für die Antifolterkonvention eintrat, wurde das mit der Begründung kritisiert, das könne auch einmal gegen uns verwendet werden – unbegründet natürlich.
    Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gab es Stimmen, die Aktivitäten für die Einhaltung der Menschenrechte auch in den sozialistischen Staaten für eine Gefährdung der Entspannungspolitik hielten. Von Kaltem-Kriegs-Denken war die Rede. Natürlich wusste ich, dass meine Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof der Vereinten Nationen in Moskau und Ostberlin für Unwillen sorgen musste. Aber in dieser Kernfrage unserer Politik nach innen und nach außen durfte es keine Unklarheit geben. Falsch wäre es gewesen, die Menschenrechtsprobleme in anderen Ländern nur zu beklagen, aber keine aktive Politik, zu ihrer Überwindung zu unternehmen. So wird es immer bleiben. Man darf sich nicht abfinden, aber auch nicht abwenden. Vielmehr gilt es, durch aktive Politik, durch Dialog und auch durch Zusammenarbeit auf Veränderungen zum Besseren zu wirken. Nicht jeder Gesprächspartner ist ein Wunschpartner. Aber einem für die Veränderung notwendigen Gesprächspartner darf das Gespräch nicht verweigert werden. Der Schutz der Menschenrechte ist die Moral unseres politischen Handelns nach innen und nach außen.
    Über Regeln für die Wahrnehmung der Schutzverantwortung wird derzeit in den UN vor allem aufgrund lateinamerikanischer Initiativen ernsthaft diskutiert. Leider ohne klare Positionen der Europäischen Union. Dabei wären solche Regeln dringend geboten, um Voraussetzungen genau zu definieren und auch den Missbrauch des Begriffs Schutzverantwortung für Machtbestrebungen zu verhindern.
    LINDNER
    Die Kernfrage ist: Wann sollte die Völkergemeinschaft intervenieren, nach welchen Kriterien? Aus der deutschen Beteiligung in Afghanistan und der Enthaltung im Fall Libyen ergibt sich für mich kein konzeptionelles Bild. Die Haltung Deutschlands zur Libyen-Resolution des Sicherheitsrats war ja quer durch alle Parteien umstritten – nicht nur innerhalb der Regierungsfraktionen, sondern auch in der Opposition. Ich erinnere mich, dass der SPD -Fraktionsvorsitzende die Enthaltung der Bundesregierung nachvollziehbar

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